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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Stimulus-Response-Ex­pe­riment: Die große Irre mit dem zuckenden Auge brachte ein Körbchen mit in die Klasse, und da saß ein Kätzchen drin, und dann rollte sie eine Decke auseinander, auf dem Fußboden, das Kätzchen krabbelte raus, tollte da rum, und wir sollten uns das »ganz, ganz genau angucken«.
    Wurde auch nicht wieder weggenommen, der Reiz, sondern so sollten wir da dann was drüber schreiben, live, denn die Wahrheit, sagt Brecht, ist konkret. Das haben die meisten schon nicht gepackt, denn in Wirklichkeit ging es, bonjour doublebind, ja eben nicht darum, sich auf die Katze irgend einzulassen, sondern im Gegenteil darum, sich sofort wieder von ihr loszureißen und an die asketische [ © Michel Foucault 1983] Textarbeit zu gehen. Belämmerte Zwerge, die wir waren, kam uns das als kognitive Dissonanz ganz schön hart an. Ich aber, genial wie Lakritze, erkannte natürlich sofort meine Bestimmung. Nein, war nur Spaß.
    Ich fing halt mal an, als es langweilig wurde, weil das Viech seine Verhaltensoptionen zum dritten oder vierten Mal durchzuspielen angefangen hatte – Rollen, check, Maunzen, check, Stolpern, check, check & double-check. War ja kein Pornofilm oder so was, nichts, was das achtjährige Hirn irgendwie nicht hätte assimilieren können, hinlänglich überschaubar. Das ist der erste der beiden Momente, auf die du wartest, Skriba – ich weiß, sonst spreche ich von dir in der dritten Person, schon weil du mir nicht gegenübersitzt, während ich schreibe, auch nicht im Kopf meine ich –, aber das hier kommt ja sowieso nur auf deinen Wunsch zustande, also lassen wir den Vorwand, du wärst tatsächlich nur einer von vielen möglichen Lesern, mal kurz fallen.
    Es gab zwei Stellen meiner mündlichen Erzählung der Sache, die dich haben aufhorchen lassen, bei denen du mir mehrfach versichert hast, sie bedürften der Klärung, ich solle sie hinschreiben, um sie dann noch mal aus der Distanz anzugucken, weil ich mich eventuell selbst seit vielen Jahren drüber täusche, was sie bedeuten. Die erste war diese: Mir wurde, siehe oben, langweilig, also fing ich erstens an zu schreiben und ging zweitens sofort dazu über, die aufgeschriebene Geschichte zu verbessern, und zwar ohne zwischengeschaltete gestalterische Zündung, planende Absicht oder sonst irgendwas Autorhaftes: Ich ließ die Katze Sachen tun, die sie gar nicht tat, sich gegen das Körbchen stemmen und reiben zum Beispiel, oder Flusen aus dem Teppichmaterial harken.
    Es wurde eine kleine unschuldige Erzählung draus, minimale Abweichungen vom Wirklichen in Richtung des Möglichen, raus aus dem Protokollarischen, aber doch wohl noch nicht ins Epische, mehr ins Feuilletonfach, ach, Erbarmen, Herr.
    Kleine erzählende Tangenten dieser Art, weiß ich heute, schaffen einen neuen Kontext für das, was darin und darum Beobachtung ist. O.k., Voyeur, böseste Sorte Dieb: Ich wurde am nächsten Tag, als wir unsere Zettelchen zurückkriegten, standrechtlich aufgefordert, das Ding vor der Klasse vorzulesen. Und dies ist nun der zweite Moment, der dich interessiert – vor dem Riesen mit den dicken Fingerfarbenfingern, vor dem Portugiesen, der damenhaften kleinen persischen Prinzessin, vor den Schlägersprößlingen mit den schmutzigen Wangen und der Timotei-Shampoo-Elfe. Und da ist wieder was eingerastet.
    The switch is on the switch is on the switch is on
The switch is on the switch is on the switch is on
    Nicht Stolz – hier fängt meine Auslegung an, du hast schon recht, bewußt habe ich mir das noch nie angeschaut: Also, man sollte ja meinen, ich wäre stolz gewesen, oder wenigstens negativ stolz: peinlich berührt. Denn naturgemäß fanden die andern Kids das Geseiere vor allem öde. Wie immer, wenn sie einen rausgreifen und auszeichnen, ist das plötzlich zum weit abgeschlagenen Verfolgerfeld erniedrigte Kollektiv nicht gewillt, diese Rolle anzunehmen, und der Ausgezeichnete hat so einen Streikbrecherschauder, eine Strebergänsehaut, wenn er noch nicht verblödet ist. Normalerweise. War aber nicht so, denn ganz andere Sachen haben meinen Prozessor damals völlig blockiert.
    Kein Raum für diese sozialen Geschichten, vielleicht war ich auch einfach schon zu asozial und unerreichbar, mir solche Gedanken zu machen; jedenfalls, was mich beschäftigt hat, waren erstens formale und zweitens metaphysische Angelegenheiten. Erstens: Was war an meinem Aufsatz besser als an den andern, was war daran vorlesenswert? Daß mehr passierte, versteht ja jeder

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