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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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1929 zu Frankfurt am Main gestorben und habe die Schoa im Erdinnern verschlafen. Dafür habe ich, im qualvollen Fortschreiten der Lähmung, sozusagen mein Nachleben noch ahnen müssen, meinen Nachruhm, als leidlich passiver Beobachter, der nichts weiter wollte, als die Schrift ins Deutsche zu übersetzen und ein paar Dinge zu lernen, die ebenfalls zu wissen … jene Person sehr dringend wünschte, die mich ins Leben zurückgerufen hat.«
    Der Blick geht an mir vorbei, betrachtet das Honigaugenglas.
    Ich bin nicht stumpf genug, um nicht beschämt zu spüren, daß ich das alles unmöglich begreifen kann: diese seltsamen Souvenirs, diese Erinnerungen.
    Also sage ich: »Augen in Honig. Ißt du das, sind das Werthers Echte für dich? Bonbons?«
    Er legt mir die linke Hand auf die rechte und sagt: »Wie das meiste, mit dem sich Gespenster wie ich umgeben, ist dieses Glas nicht buchstäblich gemeint. Ich bedarf nicht vieler Dinge. Meine Existenz ist, ich fürchte mich nicht davor, es beim Namen zu nennen, im Grunde unnötig, unwahr. Zeichen und Wunder sind mir drum wichtiger als Luft und Nahrung.«
    »Und wofür steht also das eklige Symbol?«
    »Für sinnlose Delikatessen. Sie sind das einzige Gegenmittel gegen Grausamkeit, das ich in meinen beiden Leben kennengelernt habe. Ich war Wirt und Kellner in Berlin, aus diesem Grund. Augen im Kopf: Das sind lebendige Menschen, Entscheider, Bewirker, Macher, Täter. Augen in Honig: Das ist scheußliche Schönheit, ist Kunst, Kontemplation, Philosophie.«
    Er weist auf den Konferenztisch, wo ich mich setzen soll, zu seinen Zeichnungen.
    Ich tu’s, und lege die Hände rechts und links neben das Papier, als ob ich sagen will: Ich bin soweit, die Sitzung kann beginnen. Er geht sehr langsam um den Tisch herum, er, den ich schon zackig habe steilste Gebirgspfade hochkraxeln sehen. Plötzlich sieht er wie ein im Altersheim Verknasteter aus, den’s zur Tablettenausgabe treibt. Der Uralte schmökt sein Pfeifchen, nickt kaum spürbar, eher ein zartes Kopfwackeln, setzt sich endlich mir gegenüber hin und faltet die Hände auf dem Tisch, nachdem er das Pfeifchen abgelegt hat. Ich senke den Blick aufs Papier und sehe:  

    und daneben in gestochen scharfer, steiler Schreibschrift: Adjungierte gibt es überall.
    »Was ist das, Militärstrategie?«
    Er entblößt zwei Reihen marderscharfer Zähnchen: »Unglaublich. Ich sehe es, und kann es doch nicht fassen. Du erinnerst dich wirklich nicht, Robert Rolf. Militärstrategie!«
    Ich mache eine Wischiwaschi-Handbewegung: »Na ja, Adjungierte, Adjutanten, was weiß denn ich.«
    »Offenbar nicht mehr viel. Das da … auf diesem Papier … sind ein paar ganz elementare Sachen. Wahrheiten, die auf dem Vernunftweg erschlossen werden, statt, wie heute wieder üblich, auf dem der Offenbarung. Es gibt eine junge Frau, die, während wir uns hier unterhalten, in der Stadt wohnt, in der du aufgewachsen bist – sie wurde, wer’s fassen kann, der fasse es, geboren, als du fünfzehn warst, genau neunundneunzig Jahre nach mir. Der Ewige hat es für gut befunden, sie mit dem Talent zu strafen, Wahrheiten wie die, welche du auf dem Papier da betrachten kannst, besser als irgendein lebender Mensch zu wittern. Die Person, die mich aufgeweckt hat, hält diese junge Frau deshalb für den Messias – ganz wie manche hier glauben, der Mann, der die Armee Israels gerettet hat, oder wiedererweckt, ohne doch Israel zu retten, der Mann, den sie den Kapuziner nennen, sei der Heiland. Die Person, die mich aufgeweckt hat, wird ihrem Glauben aber länger treu sein als die Verängstigten dem neuen Soldatenkönig.«
    Mir fällt die Begegnung mit Boot wieder ein, das rothaarige Fashion-Victim, das Geld für esoterische mathematische Forschungen erbettelt hat: »Ist die Person, die dich … aufgeweckt hat, vielleicht Miß Rosenberg?«
    »Unsere amerikanische Freundin? Nein, die ist bloß für die Rolle der Evangelistin vorgesehen. Sie wird die Biographie der jungen Frau schreiben.«
    »Vorgesehen von …«
    »Von der Person, die mich aufgeweckt hat. Diese … Person … nutzt diese neue mythische Welt, mit ihren mythischen Wissenschaften, um ihre kleine Schar durch viel Leid hindurch in ein neues lichtes Zeitalter zu führen – sie will, daß ihre Brüder und Schwestern endlich in dem Kosmos leben, den uns die Aufklärer versprochen haben. Und sie glaubt, nur Meschiach kann das ins Werk setzen. So wie Jesus die Götter der Spätantike vertrieben hat, soll Lena Dieringshofen

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