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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Kontrolleur, in dick aufgetragenem Berlinerisch, obwohl er eben noch besonders sauberes Hochdeutsch gesprochen hatte. »Haste villeicht ooch sowat wie’n Ausweis, Männeken?«
    Die Uniform des Zombies war grau. Judith sah keine Nazi-Insignia, also vielleicht einer aus dem Ersten Weltkrieg?
    »Mein Mudder … mein Mudder kann erkläre …«
    Der Junge blickte flackernd erst zum Menschen, dann zum Zombie, wieder zum Menschen, noch mal zum Zombie. Der tat einen Schritt nach links. Bis jetzt hatte Judith, die eben endlich ihren eigenen Geldbeutel zu fassen bekam, nur sein Profil gesehen. Von vorne war er eine scheußliche Pracht: volle, schwere Augensäcke, eine krasse Wunde auf der Stirn, abgefressene Unterlippe. Seinen Gürtel schmückte eine breite Gürtelschnalle, auf der in messingnen Großbuchstaben stand:
    GOTT MIT UNS.
    »Nu sach ma«, der menschliche Kontrolleur klang beleidigt, »dit is komisch, mit dem Namen und dem Jeburtsdatum. Kiek mer ma richtich an, wenn ick mit da rede! Jetzt hörste ma uff zu kramseln da in dein’ Jeldbeutel. Willste uns verscheißern, oder wat haste hier für’n Problem, du Kanacker?«
    »Isch will disch nisch verscheiße’n …«, beteuerte der Junge kraftlos.
    Die Rute wippte in der Hand des Toten.
    Judith schaute aus dem Fenster: Die Bahn näherte sich dem S-Bahnhof Friedrichstraße. Wahrscheinlich würde sie selbst vor dem Aussteigen gar nicht mehr kontrolliert werden, das mit dem Jungen ließ sich so schnell nicht erledigen. Judith schob ihren Geldbeutel wieder in die Hosentasche, gerade als der berlinernde böse Mensch dem Jungen seinen aus der Hand riß und ihn auf den Boden warf. Dann stand sie gleichzeitig mit zwei, drei andern Passagieren sehr langsam, sehr vorsichtig auf.
    Ein Kommando: »Keiner verläßt den Waggon bis zum Zoo, ihr werdet alle hingerichtet!« hätte sie nicht verwundert. Man hörte solche Sachen hin und wieder, seit dem Weltuntergang.
    »Isch …«, protestierte der Junge immer noch, hinter Judith.
    Der Tote machte sich drüber lustig: »Isssschhhh … isssschhh … issschhh … ha ha ha!« Die Rute sauste durch die Luft. Judith hörte, wie Stoff zerriß und Fleisch gespalten wurde.
    Dann hielt der Wagen, die Türen öffneten sich mit pneumatischem Schnupfengeräusch. Judith trat eilig auf den Bahnsteig hinaus, während hinten im Abteil Schreie, Würgen, Schläge lauter wurden.
    Sie drehte sich nicht um und entfernte sich rasch zu einer der vielen Rolltreppen der Stadt, die alle nicht mehr rollten.
    2  Richtung Unter den Linden, auf der Höhe des Hotels Maritim, standen neue Ölfässer in der Mitte der Kreuzung. Sie brannten bollernd und hell, die Flammen züngelten blaßgelb, fast weiß. Judith machte einen kleinen Bogen auf dem Weg über die Straße, um möglichst nah daran vorbeizugehen, weil die Hitze ihr wohltat, auf den Wangen, der Stirn.
    Drei Polizisten, allesamt gewöhnliche Menschen, wenn auch etwas ausgezehrt, standen im Viereck, dessen Ecken die Fässer markierten, und schauten in die Flammen wie verträumte Pyromanen. Was um sie herum vorging, schien ihnen gleichgültig zu sein. Judith dachte an die Internierten im großen Kerker, daran, daß sie dort in drei langen Jahren Arbeit noch nie eins ihrer Gesichter gesehen hatte, nur die Türen, und die Klappen unten, wo man den armen Schweinen was zum Essen reinschob und später die Teller oder Schüsseln wieder rausholte.
    »Hallo? Hallo? Mmgrrm?« hatte einer mal gebruddelt, als sie das Geschirr wegräumte.
    Sie hätte antworten mögen. Aber dann stand ein Zombie hinter ihr und schlug über ihrem Kopf heftig gegen die Tür, brüllend: »Schnauze halten da drin! Dich ficken wir auch noch! Du bist hier nicht im Hotel!«
    Ab und zu wurden Gefangene auf den Gängen lang geführt, zu Verhören oder einfach zum Quälen. Judith lauschte, wenn sie im Büro im dritten Stock saß, ihrem schlurfenden Gang und dem leisen Rasseln der Fußketten, begleitet vom festen Tritt der Wärter in ihren schweren Stiefeln.
    Einfach zum Quälen: Von »Experimenten« hatte sie reden hören, vermutlich unappetitlicher medizinischer Art, denn nicht nur Menschen wollten Solanum und von Solanum veränderte Organismen verstehen, auch Zombies interessierten sich umgekehrt dafür, was eigentlich Lebendige von ihnen unterschied, wie das alles funktionierte, und was sich bei den noch nicht Toten veränderte, wenn man sie dichter und dichter an jene Schwelle drängte, die sie selbst, die Zombies, schon überschritten

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