Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
nicht…«
    »Das gehört zu den Sachen, die Adorno richtig gesehen hat, es waren ja nicht viele: Das Schlimme am neuen Mythos ist eben, daß er stimmt.«
    Ich schiebe ihm den beschriebenen Papierkram übern Tisch zu, brauche das Zeug nur anzuschubsen, der Tisch ist sehr glatt. Skriba patscht drauf, als wollte er sagen: Abgemacht. »Wirst du ihn also für uns betreuen, während seines Besuchs, und bei Laune halten, den Prinzgemahl?«
    Ich sage gar nichts, gucke aber hoffentlich hinreichend fragend.
    Skriba seufzt. »Der Mann der Präsidentin kommt uns besuchen. Das wird dein erster Auftrag.« Ich reagiere immer noch nicht.
    »Bill Clinton. Es ist wichtig, daß er einen guten Eindruck mitnimmt.«
    »Keine Verschwörungen, hm?«
    »Robert, merk dir eines: Ich meine das sehr ernst, was ich dir über falschen Messianismus erzählt habe. Jeder hat in Zeiten wie diesen einen Hang zu Irrlehren, ich war selbst nicht immer frei davon. Aber ob es die Mathematikerin sein soll, an die jene … Person glaubt, die mich geweckt hat, oder der Mann mit dem Umhang und der Kapuze am Lake Tiberias: Es ist alles Wind.«
    Das war das, und er gebot mir, aus seinem Keller zu klettern und in die kühle nächtliche Welt zurückzukehren, ins Schlafen und Schweigen.

ACHTUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Können Sie sich ausweisen? • Russen beim Saufen • In der Schlange
    1  »Die Fahrkarten, bitte!«
    »Kon… trrrolle.«
    Zwei O ffizi elle – ein Zombie in archaischer militärischer Uniform und ein lebendiger Zivilist, erkennbar übellaunig – schlugen Lärm. Die Teenager lachten. Judith merkte, daß sie mit ihren dicken Handschuhen nicht in die Hosentasche kam, wo der Geldbeutel mit der Sichtkarte war, und machte sich deshalb daran, die Fäustlinge auszuziehen. Eine alte Frau zeigte ihre Sichtkarte, als wäre die der Zettel, der ihr zusichert, daß sie nicht deportiert wird. Ein Student sah weder die Kontrolleure noch die Karte an, die er zückte und wieder verschwinden ließ, als wäre er selbst ein Büttel und die Karte sein Sheriffstern. Judith nahm das übel, wußte nicht genau, wieso, dachte aber dabei: Daß sie die Schulen weiterbetreiben, sehe ich ja noch ein, irgendwo müssen die Kinder hin, aber Unis? Was für ein Bedarf besteht an Akademikern, hier unten, hier drinnen? Wie gern wäre ich oben, draußen, wie gern.
    Sie war inzwischen ihren rechten Handschuh losgeworden und grub und grabbelte gerade unter ihrem Mantelaufschlag nach der Hosentasche mit dem Geldbeutel drin, als der Zombiekontrolleur, der einen offenen Hals und eine fehlende Hand hatte – in der anderen hielt er eine elastische Gummirute, die sachte wippte, jederzeit schlagbereit – vor einem jungen Ausländer stehenblieb, seine Rute langsam in den breiten Gürtel schob und dem Jungen dessen Karte aus der Hand nahm wie ein radioaktiv verseuchtes Beweisstück.
    Er drehte den Kopf zu seinem menschlichen Kollegen, der sich von der andern Abteilseite aus langsam herarbeitete, und zischte: »Sssschau dir dassss mal annnn …« Es klang wie aus einem winzigen Dampfkessel gepreßt, leise, kobragefährlich.
    Der menschliche Kollege war mit zwei Schritten da und nahm dem Toten das Billettchen ab. Dann zog er ein grünes Märkchen aus der Klarsichthülle und hielt es dem Jungen vor die Nase: »Issen falscher Name, oder? Hier steht’n anderer Name auf der Stammkarte als auf der Marke. Und die is nicht übertragbar.«
    Der Junge schaute den Mann nicht an, sondern blätterte in seinem Geldbeutel rum. Der Zombie hatte jetzt seine Rute wieder aus dem Gürtel gezogen. Der mit gelblicher Kruste überzogene Stumpf seiner fehlenden zweiten Hand schlug gegen seine Hüfte, in ungeduldigem Takt, dann redete er den Jungen an: »Alssso? Wasss sssagssst du dasssu?«
    »Das is – isch habb meim Vadder dem Namme genomme, das is beides meinem Namme. Isch habb neue Namme gekriegt von meim Vadder von sein Scheidung.«
    Sein dichtes Haar glänzte schwarz, die braunen Augen blickten unsicher, er war ein schöner Mensch.
    Judith hatte Angst um ihn und wußte, daß es für sie am besten war, wenn sie es wie die andern Fahrgäste machte: schleunigst woanders hinschauen.
    Hackesche Höfe.
    Die Bahn hielt, viele stiegen aus, wenige ein.
    »Aha. Du hassst alsso den Namen von deinem Va-ahter angenommen«, grinste der Tote und leckte sich die unteren Vorderzähne.
    »Und dabei haste denn ooch jleich en neuet Jeburtsdatum jekriegt, wat? Dit is ja ulkich«, mokierte sich der glatzköpfige, stämmige zweite

Weitere Kostenlose Bücher