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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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hatten.
    Ooh, sie kommen aus der Hölle
Ooh, denn da gibt es viel zu viele
    Unter vom abgewaschenen Schnee feuchtschwarz glänzenden, dürren Bäumchen rund um einen mit Brettern zugenagelten ehemaligen Zeitungskiosk stand eine Gruppe Russen. Man ließ eine dunkle, schlanke Flasche kreisen, schimpfte undeutlich, aber markig. Die waren immer schon da, spürte Judith und fand es vage tröstlich, die würden vielleicht immer da sein, selbst wenn die Zombies irgendwann alle verwesen, selbst wenn die letzten echtberliner Menschen vorher unverdaut in ihren überdehnten Mägen gelandet sind.
    Russen beim Trinken.
    Hinter Judith wurde ein Brummen laut, Tuckern, Motorpulsieren.
    Sie überlegte, ob es eine gute Idee war, sich umzudrehen. Das Ge­räusch kam näher, noch näher, sie drehte sich nicht um. Dann passierte ein blauer, zerbeulter Ford die langsam Gehende im Kriechtempo, fuhr träge auf der breiten Straße lang, ins Schneetreiben wie in ein Vergessen. Man sah so was sehr selten jetzt, echten Motorverkehr: Zu viele Straßen waren irgendwo blockiert, absichtlich und blockadehalber oder als Streuschaden von Kämpfen. Dem verschwindenden Ford folgte ein altes Taxi, dessen Taxischild nichts mehr bedeutete – es saßen Zombie-Milizionäre drin statt einem Chauffeur mit Gast oder Gästen.
    Auf der anderen Fahrspur schoben sich weitere Autos vorbei, nicht besonders dicht an dicht: ein roter Lastwagen mit dunkelblauem Verdeck und der Aufschrift »Schulz Rohre«, ein kleiner VW Golf in Postgelb, ein grüner VW -Bus, ein verschlammter Toyota in garstigem Lila. Die Russen begrüßten jedes der Fahrzeuge mit großem Hallo. Einer der Männer sah aufmerksam zu, wie Judith quer über die Kreuzung mit den nicht mehr funktionierenden Ampeln ging. Judith schaute weg, auf die Schneekäppchen der Ampeln. Der Mann lachte, da sah sie denn doch zu ihm hin. Er hob seine Flasche, winkte ihr damit, prostete ihr zu. Sie senkte ihr Gesicht und dachte, daß seines eigentlich ein bißchen zu arg rot war, nicht mehr richtig gesund.
    GOTT MIT UNS.
    Nee, mit denen nicht. Russen. Komische Welt.
    Der feuchtgewordene Schnee sank ab, wurde fester. Judith trottete voran wie ein Bär, leicht vornüber gebeugt, und dachte: Trotten im täglichen Trott – ob da wohl das Wort Trottel herkommt? Der grüne VW-Bus fuhr eine weite Kurve. Die Polizisten bei den brennenden Fässern folgten ihm in unheimlicher Pinguinkopf-Synchronie, mit den halbwachen Gesichtern. Fast wirkte es, als gäbe es irgendeine geheime Verbindung zwischen der schäbigen Karre und Judith: Als sie über die Straße ging und dann nach links einbog, war ihr der Kleinbus gefolgt. Jetzt hielt er an, kurz hinter der Ampel, und fuhr ordentlich an den Straßenrand. Die Scheinwerfer blendeten ab, das Auto blieb stehen. Man sah nicht, wer drin saß, das Fahrerhäuschen war ganz dunkel.
    Judith stand jetzt neben der letzten der drei erloschenen Ampeln. Sie fragte sich unbehaglich, ob irgend jemand – die Russen, die Polizisten, der Mensch / die Menschen im VW -Bus – wohl von ihr erwartete, daß sie weiterginge, oder länger stehenblieb, sich umwandte … was?
    Galt das Wendemanöver wirklich ihr? Warum war das Auto dann nicht weiter hinter ihr hergefahren, warum gab’s kein Hupsignal, warum verharrte, wer immer am Steuer hockte, im unheimlichen Zwielicht hinter der Frontscheibe? Judith wandte sich ab, hörte die Russen was rufen, mehr oder weniger in ihre Richtung, irgendein Wort mit »-uschka« – Petruschka, Veruschka?
    Die Trinker hatten also entweder den vermeintlichen Zusammenhang von Judiths Kreuzungsüberquerung und der Bahn des Kleinbusses bemerkt, oder sie kannten das Fahrzeug. Ja, dachte Judith und beruhigte sich damit, das wird’s sein: Ist halt ein Russenauto, sitzen halt Russen drin, und sah die Trinker reflektiert im Fenster der ehemaligen Spitzenpräsentierhalle eines Autoherstellers. Gehören dazu, hier, diese Russen mit ihrer senatsgeförderten russischen Kunst, ihrem S- und U-Bahnhofsstationenpanoramen bereichernden russischen Alkoholismus, ihren russischen Fotogesichtern, damals im Bahnhof Friedrichstraße, zwischen den Vodkakiosken, ach und die Second-Hand-Läden mit Matrosenkram oder Armeemänteln in der Schönhauser Allee, und die Leninbildchenauslagen auf der Museumsinsel, russisch Berlin, puppige Welt.
    Noch heute bestanden zwischen der abgeriegelten Stadt und dem fernen Zwiebelturmland beste Verbindungen, man sprach von Schmuggel. Vor Judiths innerem Auge gaukelten

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