Für immer in Honig
verfüttert sie ihnen, redet von »meinen kleinen Schweinchen«, es gibt auch »Menschenkoteletts« darin, alles spielt 1943, eine Lise Cohen wird ins KZ Naugen (Augen?) gebracht, Lager und Bordell in einem, der Kommandant Starker (!) verliebt sich in sie. Später rettet sie ihn vor dem Nürnberger Strang, dann verabreden sie sich in Naugen auf ein Wiedersehen, dort erschießt sie beide. (…) Einmal schneidet Alma einem jüdischen Gefangenen eine Tätowierung vom Körper. Kulturindustrie: größer als die IG Farben. Der Affekt, solche Sachen nicht verstehen zu wollen, ist verständlich und moralisch im Recht. Der Verf. fürchtet aber, daß man versuchen muß, sie zu verstehen, wenn man auch nur den kleinsten Beitrag dazu leisten will, daß sie nicht mehr passieren. Er läßt gerne offen, ob er den Film meint, die Ermordung und das Quälen der Juden durch die Nazis oder beides, oder was anderes. Sein Buch wird ohnehin nie gelesen werden. Es dient allein der Selbstverständigung eines Verhexten.
5 Die schwierigste Teilaufgabe bei der Arbeit am vorliegenden Buch des Verf. ist es gewesen, herauszufinden, was das für Absichten waren, für die im Grunde nüchterne, diesseitige Gestalten wie Cordula Späth so lange ihren Hals und ihren Verstand riskiert hatten, in diesem versunkenen zwanzigsten Jahrhundert.
Die Dinge, über die ich jenseits des herrschenden Zustands schreibe, die Aussichten und Pläne, habe ich aus Büchern, von denen es nur noch die ihren gibt: »Es ist alles in meiner Bibliothek eingesperrt, und im Kopf von Jennifer Brunner. Außer mir, ihr und jetzt dir, Andreas, gibt es niemanden mehr, der weiß, was man sich unter Sozialismus und Kommunismus vorstellen soll – o ffizi elle Lesart: Es gab mal so komische Nazis in Rußland und China, dann kamen die Krankheiten und die Zombies und man hatte andere Sorgen.«
Der Verf. begann also, vor nunmehr sechseinhalb Jahren, zu untersuchen, was das hat sein sollen: Sozialismus, Kommunismus. Am Anfang wäre er oft fast verzweifelt dabei.
Nirgends in den Späthschen Quellen gab es eine ausreichend allgemeine, eine ausreichend abstrakte Definition, die für den anfänglich sehr vage vorformulierten Zweck des Verf., eine Landkarte dieser vergessenen Kämpfe aus sehr großer Höhe anzufertigen, ausreichend gewesen wäre.
»Der Kommunismus ist die freie Assoziation freier Produzenten«? Das klang für den Verf. nach Wohngemeinschaft mit Gartenarbeit.
»Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien«?
Das klang nach Warteschlange auf der Post und vor der Autowerkstatt.
»Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen«?
Das klang nach Fußballverein oder mieser Rockband mit schlechtem Drummer, den man aus Mitleid mitschleppt. Schließlich aber, beim Entspannungslesen in der schönen Literatur, die rund um die doktrinäre Literatur (und manchmal gegen sie, als Verteidigung der kapitalistischen Freiheit gegen kommunistische Forderungen) entstanden war, in welcher der Verf. anfangs seine Auskünfte gesucht hatte, tauchte doch noch eine Bestimmung der Sache auf, mit der er was anfangen konnte, ausgerechnet bei Wallace Stevens, einem Dichter, den man nicht im Verdacht haben kann, irgendwelche radikalen gesellschaftlichen Dinge in Gang setzen zu wollen – er war Versicherungsangestellter und antwortete einmal auf die Frage, ob er sich irgendeiner politischen Bewegung zugehörig fühle, wahrheitsgemäß mit »Ich fürchte, nein«. Der Satz stand im Rahmen einiger Überlegungen zur realitätserzeugenden Kraft der Moderne, als Versuch, unter vielen anderen modernen Moden auch dem Kommunismus so etwas wie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen (denn wenn er auch nicht mit dem Kommunismus sympathisierte, mit der Moderne sympathisierte Stevens sehr): »Der Kommunismus ist ein Unternehmen zum Zweck der Verbesserung der menschlichen Aufmerksamkeit.«
Ach so, dachte der Verf. erfreut.
Das klingt schon besser.
Das Dumme war: Von den literarisch betrachtet deutlichsten Ideenkomplexen des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Leninschen Kommunismus und dem Hitlerschen Faschismus, hatte der eindeutig Bösere gesiegt, und selbst das war vergessen worden. Lenin wollte als Vorstufe des Kommunismus den Sozialismus auf der Welt installieren, das war schiefgegangen. Hitler wollte den Sozialismus verhindern und, weil er radikal dachte und im Rahmen seines Wahns durchaus zum effektiven Kalkül imstande war, zu diesem Zweck gleich noch dessen Nährboden vernichten, das
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