Für immer in Honig
humanistische Europa.
Der Sozialismus kam nicht, erstes Hitlerziel erreicht.
Vom humanistischen Europa blieb nichts übrig, zweites Hitlerziel erreicht.
Der verlorene Weltkrieg ist gemessen an diesen zwei Siegen in der Hauptsache ein nachrangiges, bedauerliches Tribütchen an die Geschichte und die Tatsache, daß die Leute in der Letztmortalen lieber schlecht lebten als gar nicht. Glücklich die Zeit, die noch solche Alternativen kannte.
6 (…) Lenin hat das allerdings nicht immer ganz klar und sauber gehandhabt: Mal war der Weltkrieg ein Weltbürgerkrieg, mal galt es, ihn in einen zu verwandeln. In any case: Das alles war Metapher, denn die eine Partei im Weltbürgerkrieg bestand ja gerade nicht aus Bürgern, sondern aus Verhexten. (…)
Das Verhältnis zwischen Weltkrieg und Weltbürgerkrieg hat man sich vorzustellen als eines, bei dem das Ineinanderüberführen der beiden durch die Kommunisten auch mal dem Entflechten Platz machen mußte, und dann wieder umgekehrt. Trotzki hat den Frieden von Brest-Litowsk ausgehandelt, war aber auch der große General der Roten Armee. Alles geschah ziemlich offen, dekonspirativ.
Kommunisten, wenn es wirklich welche waren, wußten bald nur zu gut, daß alle Verschwörungen nicht nur nutzlos sind, sondern sogar schädlich in ihrem Sinne. Sie hätten außerdem wissen sollen – schon Engels hat es ihnen zugemutet wie zugetraut –, daß Revolutionen (anders als die kommunistische Gesellschaft selber) nicht absichtlich und willkürlich gemacht werden, sondern daß sie überall und zu jeder Zeit die notwendige Folge von Umständen waren, welche von dem Willen und der Leitung einzelner Parteien und ganzer Klassen durchaus unabhängig waren – etwa von Kriegen. Gesetze gab’s dazu keine, aber ein paar sinnvolle Arbeitshypothesen: Auch die Herren der Verhexten, lautete die lange Zeit produktivste davon, wollen nicht, daß alles dem Erdboden gleichgemacht wird, aber sie forcieren es manchmal, genau wie die Krisen.
Kommunisten konnten gerade deshalb begreifen, daß an der Gewaltanwendung in den »anderen Umständen« der Revolution wenig vorbeiführt. Die Herren geben keinen Picometer freiwillig preis – sobald der Druck seitens der sich zum Subjekt organisierenden Enthexten nachläßt (wie etwa nach dem o ffizi ellen Ost-West-Systemkonflikt-Ende 1992), wird jedes Zugeständnis beseitigt (»Reformen des Sozialsystems«), aus innerer Systemnotwendigkeit. (…)
Die Hoffnung von Marx und Engels, das Proletariat werde vielleicht am Ende in seine große Revolution »hineingejagt«, war vergleichsweise unaufrichtig, wenn man bedenkt, daß diese beiden durchaus wußten, daß die Abschaffung des Privateigentums sowieso nicht mit einem Schlag vonstatten geht. (…)
Sozialismus: Niederhalten und Austrocknenlassen der besitzenden Klassen und ihrer Handlanger, Übernahme und Umgestaltung des Staatsapparats, Erzwingung eines neuen Gesellschaftsvertrags mit Verfallsklausel und ohne Erbrecht an Produktionsmitteln. (…)
Kommunismus: Klassenlose Gesellschaft, selbststeuernd nicht qua Naturprozeß, sondern Abstimmung, Räte, Zellen. Das war der Stand der Forderungen, die ganze Moderne hindurch.
Wie macht man den Sozialismus, der dann den Kommunismus machen muß?
7 Gesetzt, die Produktivkräfte sind halt doch noch nicht so weit, allen alles zu sichern, was sie brauchen. Dann heißt Sozialismus: Produktivkräfte vervielfältigen, und zwar so, daß die Herstellung der besseren Gesellschaft dabei bewußt als Update dessen gemacht wird, was die »industrielle Revolution« gewesen ist. Die dafür nötige Masse von Pro duktionsmitteln schaffen, das Land elektrifizieren etc.: Das war die Sorge (und später die Ausrede) der Erziehungsdiktaturen nach russischem Muster ab 1917. Die Situation, in der Sozialisten und Kommunisten agieren, ist immer dreifaltig: eine wissenschaftliche (Produktivkräfte), eine klassendynamische (Produktionsverhältnisse), eine militärische (der Staat, die Politik, das Gewaltmonopol).
Wie man die militärische anschaut, das war nach 1945 das Unterbelichtetste, wegen der fiesen Taktiererei des »Kalten Krieges«. Immer bereit sein, aber nicht in die Offensive gehen – das leiert die Kräfte aus.
Aber die Alternative der Schwingungsverstärkung, wie eine Division im Marschrhythmus eine Brücke so lange zum Schwingen bringen kann, bis sie einstürzt: Das gab’s nicht. Cordula erzählt von West-Berliner Gippies Mitte der Achtziger: »Die haben Leute, ganz junge
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