Für immer in Honig
dir Leute sowieso gehorchen wollten, die hätten jeden genommen. Hier bist du nur ein kleiner Schläger, und dieser Gedanke – nicht, daß F-4-10-7-100-95 das gewußt hätte, alle Gedanken waren gleich, alle taten weh – traf den Sachverhalt, ohne daß das geholfen hätte.
Der ehemalige Bürgermeister von Sonnenthal, Flüchtling aus dem tiefen Süden vor den heranrückenden Truppen der NATO -West, hatte außer seinen paar treuen Wehrmachtsmännern nichts in die am gründlichsten zombisierte Stadt Europas mitgebracht als diesen einen Gefangenen und dessen Geheimnis.
Schon damals, da unten, hatte er es unter ersten Schlägen halb preisgegeben. Der Zombotiker glaubte, sehr genau zu wissen, wer F-4-10- 7-100-95 war, und wollte nur noch herausfinden, was es mit jener »Wahrheit über das Ganze« auf sich hatte, die eine Frau namens Jennifer angeblich, befragt von F-4-10-7-100-95, während mehrerer Tage in verschiedenen Autos und billigen Hotels, auf sechs kleine schwarze Discs gesprochen hatte.
F-4-10-7-100-95 hätte alles erzählt, was seine Quäler hören wollten, aber das, was sie wirklich zu wissen wünschten, wußte F-4-10-7-100-95 gar nicht.
Treppe runtergefallen, Rippen gestoßen, Erinnerung kaputt. Zickzack Treppen Steigungen Abstürze wie viele, wie viele, wie viele Finger.
2 Ich Maus im Eck wie viele Finger.
Ich erinnere mich, daß wir eine Kindergärtnerin gehabt haben, die hat langes braunes Haar gehabt, meistens zum Zopf geflochten, Fräulein irgendwas, die hab ich ziemlich gern gemocht und alle Kinder mochten die auch. Ingrid, die Tochter vom Apotheker, die meine beste Freundin war, die war auch in dieser Gruppe und der Robert Rolf auch und da gab’s also immer so ’ne Clique und ich war immer eigentlich anerkannt, ich war nicht jemand, der ausgestoßen war, höchstens ab und zu mal ein bißchen, aber daß das so wichtig wurde, daß meine Mutter geschieden war und daß wir am Bahnhof wohnten und daß es diese Gerüchte über sie gab: Nein, damals eigentlich nicht, das kam erst später am Gymnasium, weil man da dann auch von der Mutter auf die Tochter umschalten konnte, wegen gebildet – wenn die Mutter eine Schlampe ist, dann ist die Tochter natürlich ein Flittchen oder so was. Und diese Frau, die hat mit uns viel gebastelt, einmal haben wir ’ne Schlange gebastelt, und ich bin hingegangen und hab sie mit der Schlange gepfetzt, gebissen. Und dann hat sie gesagt: »Oh je, jetzt geht es mir aber ganz schlecht.« Was für sie nur ein Spiel war, aber ich hatte danach derartige Schuldgefühle, daß ich die Schlange zerstört hab, in kleine Stücke habe ich die zerschnitten.
Wie viele Finger im Eck. Maus gebissen raus.
Licht aus.
3 Manchmal war es Winter um den Kerker.
Das wußte man, auch wenn es keine Fenster gab, denn wenn es richtig Winter um den Kerker war, erstarrte der Schleim in der Lunge, und ein weiterer unbekannter Ortssinn, vielleicht so ein Radar wie bei Fledermäusen und manchen Fischen, sagte der zitternden, wunden und weinenden Maus im Eck auf dem Boden, wo in der großen Jahreszeitenlandschaft man sie hingesteckt hatte, und daß sie dringend bald hier weg mußte.
Adressen von äußerst Großen des wichtigen Denkens im Stadtplan, mit Geraden verbunden, fehlende Worte und Einbahnstraßen, plötzlich eine Stimme an der Tür, aus dem Schlitz mit der Klappe: »Hallo? Sie haben … das Essen nicht … angefaßt. Sind Sie krank?«
Da mußte F-4-10-7-100-95 schon wieder lachen, immer lachte man im Kerker, weil es da so lustig war. Ja, das wird es sein, krank, deshalb liege ich auch immer wieder halb bewußtlos auf dem beschemselten Fußboden, anstatt auf meiner bequemen Liege an der Wand Platz zu nehmen, deshalb müssen sie mir die Fingernägel immer kappen – wie viele Finger Maus im Eck wie viele –, damit ich mir damit nicht ins Fleisch schneide, und deshalb haben sie mir sogar die spitzen und scharfen Stellen meiner Zähne mit ihren Bohrmaschinen abgeschliffen, damit ich mir nicht die Schlagadern kaputtbeiße.
Krank im Schrank vielen Dank.
Hi hi hi, Gnichel.
»Hallo?«
»Weg da! Dich ficken wir auch noch! Du bist hier nicht im Hotel«, sagte eine andere Stimme, und dann wurde richtig mit Schmackes ge treten, das war der Stiefel des ehemaligen Bürgermeisters von Son nenthal, der trat die Frau, die das Essen gebracht und dann nach dem Wohl befinden – sagt man so? – von F-4-10-7-100-95 gefragt hatte. F-4-10-7-100-95 war nicht überrascht, daß der Name
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