Für immer in Honig

immer diese doofen Feste, so Dorfzeug, das war die Wahnsinnsattraktion, da hinzugehen, manchmal hatten sie Ponys, das war so toll, ich bin ja so gern geritten und dann war da … irgendwie haben Leute Flaschen eingesammelt und ich hab geholfen, und dann hab ich’s nicht ganz richtig gemacht oder so wie ich mir vorgestellt hatte, da wurde ich irgendwie angeschissen, und da habe ich gedacht, die Welt geht unter. Tagelang bin ich da rumgelaufen und hab mir vorgestellt, ich hätte irgendwas angestellt. Verrückt.
    7  Das Licht war eben abgestellt worden.
    Als F-4-10-7-100-95 gerade mit den Fingern in der von geronnenem Blut dunklen Watte und den Binden im Dunkeln rumspielte und sich wunderte, ob eigentlich die Gefahr einer Blutvergiftung bestand, erschien ein Engel auf der Pritsche und machte mit seinem Leuchten, daß es hell wurde in der Zelle. Ein langes weißes Kleid wie Melchisedek sahen die Gefangenenaugen, so schön. Der Engel war eine Frau, die hatte kurze weiße Haare. Die Stimme des Engels sagte traurig: »Das ist ja eine echte Scheiße geworden alles. Es tut mir leid, weißt du. Ich habe es wirklich nicht gewollt, so mau das jetzt rüberkommt. Ich dachte, sie kriegen das gar nicht hin, einen eigenen Staat, mit eigener Polizei, eigenem Gefängnis. Es sind ja schließlich nur Tote.«
    F-4-10-7-100-95 leckte sich den Speichel vom Handrücken, der war irgendwie am Kinn gehangen, runtergetropft, egal gewesen, so ganz allein.
    »Ich hatte aber trotzdem recht, das laß ich mir nicht nehmen«, sagte die Erscheinung. »Überall, wo man mithilfe des Mythos herrscht, muß auch sofort der Gegenmythos aufl eben, der vom Ende der Herrschaft. Darauf habe ich gesetzt: die Magie der schwarzen Sklaven Haitis, die Magie der europäischen Juden, die Magie der Sabbataianer, überhaupt der Getretenen überall auf der Welt, aller Zeiten.«
    F-4-10-7-100-95 kam näher, rückte ran, lehnte sich wie träumend an den Engel, kaputte Schulter an starke Schulter. Der / die Gefangene sackte zur Seite und wurde gestützt.
    Der Engel Cordula Späth sprach: »Ich meine, schau, historisch war es doch auch immer so: Der nächste große Sprung der Weltvernunft brauchte als Anlauf immer eine gewisse Wegstrecke durch die finsterste Nacht des Obskurantismus. Die Aufklärung, was wir so nennen: Das kam aus den Sekten, von den Rosenkreuzern und den Hexen, von den jüdischen Anhängern des Sabbatai Zwi. Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich der Freiheit eingehen, das ist die Wahrheit. Ich wollte es nur abkürzen, nicht?«
    »Du meinst«, sagte F-4-10-7-100-95 ohne Bewegung der Lippen, mit geschlossenen Augen, das linke zugeschwollen, das Lid des rechten unruhig zuckend, wie bei einem Jagdhund, der von Kaninchen träumt, »wie in dieser Trilogie von Asimov: ›Foundation‹, wo dieser Wissenschaftler eine tausendjährige Dekadenzzeit fürs galaktische Imperium voraussieht, ein finsteres Mittelalter, und deshalb seine klosterartigen Stiftungen einrichtet?«
    Die Stimme war so deutlich, weil F-4-10-7-100-95 die Lippen nicht bewegen mußte, um mit der Lichtgestalt zu sprechen, alles passierte im Kopf wie das Ganze wie der Engel wie das Gebäude wie viele Finger wie.
    Cordula Späth antwortete: »So ähnlich. Wir holen dich bald raus. Es tut mir wirklich sehr leid. Mir wird richtig schlecht, wenn ich dich so sehen muß. Es kommt Hilfe. Aber du mußt mir einen Gefallen tun.«
    F-4-10-7-100-95 lächelte schwach: Wenn’s weiter nichts ist.
    »Du mußt versuchen, dich zu erinnern. Daran, wer du tatsächlich bist.«
    Nein, was, wieso denn, welcher wer, tatsächlich wo wer, Maus im was?
    Im Eck im wie, warum wie viele Finger? Was ist das für eine beschemselte Idee, glaubst du, ich wäre so geschädigt von dem bißchen Folter? Daß ich nicht mehr weiß, wer ich was?
    Ich bin Fred Jochen Schörs, Freddy für seine Freunde und Familie, verschleppt aus Sonnenthal, mißhandelt, weil er Jennys Geheimnisse nicht preisgibt, der wirklich treue Liebende weit über den Tod der Geliebten hinaus und bis ganz nah an den eigenen ran, der immer deutlicher sichtbar wird schon, wie ein anderer Tag, wie Aussichten, wie viele Finger, der bin ich, wer denn sonst?
    »Nein, bist du nicht. Heb die linke Hand hoch. Schau sie dir an, zähl die Finger und überleg dir, wer du bist.« Damit war die Erscheinung verschwunden.
    F-4-10-7-100-95 lachte: Hand hochhalten und anschauen, ohne Licht?
    8  Ich hab viel mit der Ingrid und dem Robert gespielt im Kindergarten, ich weiß noch,