Für immer in Honig
nackte Frauenleiber rollte wie ein Kettenfahrzeug-Antriebsriemen? Wie war er plötzlich ins Eis geraten, durch das er dennoch hindurchschwimmen konnte, obwohl es fest war? Um ihn hingen hier Gegenstände unbeweglich an gar nichts: eine Tafel Schokolade, ein flaches Siemens-Telefon, ein grüner funkelnder Edelstein, groß wie ein Kinderkopf, amerikanische Geldscheine, ein jüdischer Kerzenständer mit soundsoviel Armen, wie hießen diese Dinger noch?
Ortswechsel: Was für eine Wüste? Wer nagelte da drüben Bretter an eine Tür?
Das Schlimmste aber war der Traum von dem dunklen Zimmer; auch weil der mehrfach wiederkam.
Hatte Freddy im Traum vorher je einen Geruch wahrgenommen? In diesem Traum gab es das.
Es roch da nach Obst, eine Spur zu parfümsüß, leicht angefault. Apfelsinen, vermutete Freddy, oder Orangen, zu fleischig reich für Zitronen jedenfalls. Es war stockdunkel. Freddy saß auf einem Holzstuhl, um ihn saßen andere, die er zwar nicht sah, aber deutlich hörte und mit einer Art innerem Radargefühl wohl auch spürte.
Sie unterhielten sich über alles mögliche, es wechselte in schnellem Rhythmus und war in jeder der vier Versionen des Traums verschieden: »Griechenland, ein guter Ort für Pädophile, soweit sie es mit kleinen Jungs hatten. Von kleinen Mädchen wollte der klassische Grieche nix wissen«, sagte eine Mädchenstimme, dann drohte ein hohles Mönchsorgan: »So weit wie nach Rom ist es in die Hölle, und nach Rom ist es gar nicht so weit.« Dann meinte jemand, es mochte ein Mann sein, aber auch eine füllige Frau mit Alt-Stimme: »Jodie Foster ist nicht einfach eine gute Schauspielerin, sie ist ein überirdisches Wesen und kommt von dem Stern her, der direkt vor dem Hundsstern leuchtet.«
Freddy konnte nichts sagen, weder während der fremden Wort beiträge, noch anläßlich der Geräusche, die diese punktierten: Eine Tür knarrte, ein Saiteninstrument wurde angeschlagen, Sand lief über ihm durch ein gewaltiges Stundenglas oder durch einen riesigen Trichter.
Mein Mund ist verklebt, dachte er, oder zugenäht, und verflixt also wohl auch noch. Was bedeutet das eigentlich, verflixt? Wie flixt man? Wann weiß man, daß man fertiggeflixt hat, daß es also endlich richtig verflixt ist, statt bloß ein bißchen angeflixt? Nicht mal summen oder winseln ging, er versuchte es vergeblich. Jedesmal kam, wenn der Traum so weit war, ein eigenartiger Zwang über ihn: Er beugte sich leicht nach vorn und fing an, unter dem Stuhl, auf dem er saß, auf dem staubigen Holzboden rumzutasten, als suche er da was Wichtiges.
Und zwar? War ihm doch schnuppe: Beweise, Früchte, Katzenfell.
Wenn er’s nur endlich finden könnte, dachte Freddy, den Tränen nahe, das verlorene Osterei Gottes, den heiligen Käse, das erhabene Butzefüßchen, dann würde nämlich bestimmt die Folter enden, das wußte er. Greif nur das geheime Objekt unterm Stuhl, ein Licht wird angehen und Beate wird bei dir sein, du selbst in Sicherheit, Halleluja, Fußballergebnisse, Todesanzeigen, Abspann.
Er fand nie etwas, tastete mit den kalten Fingerkuppen nur immer da rum, in der Staubschicht, in der kalten Asche. Jedesmal erwachte er danach hungrig und frierend. Meistens gelang es ihm, sich aufzusetzen und aus dem Bett zu klettern, ohne Beate zu wecken. Dann ging er in die Küche, öffnete den Kühlschrank und holte sich ein Eckchen Käse, ein bißchen Schinken oder auch ein hartgekochtes Ei, dazu Butter, nahm Brot aus dem Brotkorb und zog das Frühstück mal um drei, mal um zwei, einmal um anderthalb Stunden vor: Er brauchte jetzt etwas Salziges, das war das einzige, was diesen Traum vertreiben konnte, »Frag mich nicht, warum«, wie er einmal, das Ei hatte er gerade geköpft, erschöpft flüsterte.
»Ich habe nämlich keine Ahnung, liebes Ei. Salz gegen Träume vom dunklen Zimmer. Es hilft.«
Es half, wie Glöckchenklingeln beim Fighting-Twin-Syndrom.
Was nachts so alles hinterrücks passierte, dagegen müßte man was machen, das untergrub auf Dauer den Staat und das Ganze, fand Freddy, das ging auf keine Kuhhaut, Menschenskinder.
3 »Claudia? Bist du das? Hier Matjasewitsch.«
Es war ein Codename, mit dem sich der Kerl meldete, als Beate seufzend das blaue Handy aufklappte – sie besaß vier Mobiltelefone und hatte wirklich gehofft, daß dieses spezielle so schnell nicht klingeln würde.
Der Mann hieß so wenig Matjasewitsch wie sie Claudia. Er war sogar nicht mal Russe, erinnerte sich aber wahrscheinlich selbst
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