Für immer in Honig
nicht mehr daran, wie er mit Taufnamen hieß, so wenig jedenfalls, wie Beate noch wußte, daß sie mal weder Clara, noch Claudia, noch Sinja, noch Beatrice, noch Kara und auch nicht Beate geheißen hatte. Diese sechs Namen standen in Pässen geschrieben und auf Todeslisten, nur der sechste gehörte einer Frau, die geliebt wurde. Es gab einen siebten, psst: Das war die »Jennifer«, die man einst kurz nach der Geburt in Rheinfelden getauft und schon im Kindergarten ermahnt hatte, sich nicht immer so abzukapseln.
»Was willste denn?« sprach Beate gereizt ins Gerät.
Eben noch war alles so nett gewesen, auf dem geflochtenen Liegesessel, vier Meter überm glitzernden See, Balkonfrieden zwischen Rankenpflanze und Ficus, beim Lesen in Robert Ranke-Graves’ »Die weiße Göttin«, eine Cola, nicht, wie in ihrem bisherigen unsteten Leben, in der Flasche, sondern im Glas auf dem runden weißen Gartentisch. Die ganze Gegend hier war ein echtes Akademiker-Arkadien: ehemaliges Gartenschaugelände, Quartiere für ausländische Uni-Dozenten in ökologisch verantwortungsvoller Holz- und Glasbauweise, am andern Ufer eine Öko-Meßstation voller besorgter Klimatologen und dauer lächelnder Körnerfresser, das Ding hockte wie der Hase in der Grube zwischen zwei der Hügel überm See, die sich postkartenhellgrün wellten. Die kleinen Hänge waren im eben angebrochenen Frühsommer häufig bevölkert von Halb- bis Ganznackten, darunter leider immer auch ein paar besonders Speckige. Freddy haßte das, Beate fand’s lustig. Es gab ein Konzert-Halbinselchen, unter dessen Plastikplanendach gelegentlich mittelerträgliche Musik zwischen Oldies und Dixieland stattfand, außerdem einen provisorischen Tretboothafen, eine schattige Schilf-Ecke, diverse pseudoromanische Tempelhain-Zwergbauten, einen großen Aussichtsturm aus grauen Holzplanken und viele Viecher als Dauergäste, sogar einen Kranich, dessen Nest vermutlich ganz in der Nähe irgendwo im Baum hing. Eine Studentensiedlung aus weißen Legoblöcken stabilisierte das Panorama hinter den Zwei- bis Vierfamilienhäusern, von denen Beate und Freddy eins bewohnten, und über allem plusterten sich Puderzuckerbauschwolken, äußerst langsam vorüberschneckend, gar nicht besonders hoch oben, an einem Himmel, der gemacht war aus Freddys lauterem Augenblau.
Bea hatte diese bukolische Lauge aufgesogen wie ein Badeschwamm, ihr Bewußtsein glitt an der Oberfläche des Buchs entlang, das sie las, da hatte das elende Gerät zu dudeln angefangen, Tonsignal: Melodie des Schmettermarschs aus Bizets »Carmen«-Ouvertüre, und löste sofort den Gedanken aus: Oh je, die Arbeit.
Sehr widerwillig war Bea also aufgestanden, hatte das flache blaue Ding unter Flüchen aus seinem Versteck gefummelt, es auf den Balkon mitgenommen und dort die Leitung freigeschaltet.
Wenn es wenigstens jemand gewesen wäre, mit dem sie gern redete, einer ihrer Geldwäscher oder Paßfälscher zum Beispiel, ein Informant, ein Klient. Dem heiklen »Matjasewitsch« aber hatte Beate ihr Arbeitszeug anvertraut, bevor sie ihren Berliner Haushalt aufl öste. Nett war er nicht, wenn auch zuverlässig.
Und jetzt das: »Ich muß dir deinen Kram zurückgeben, Claudia.«
»Ich nehm’ keine Jobs an, Matjasewitsch. Nicht bevor der Sommer vorbei ist. Ich dachte, das hätten wir geklärt.«
»Ich respektier’ das, du weißt es. Ich hab’ keinen Job für dich. Nur deinen Krempel.«
»Ich dachte, du hast ihn im Auto und, ich zitiere: Da liegt er gut?«
»Hatte ich, habe ich. Muß aber kurz zu Ali Baba, zwei Wochen oder so, und kann das Zeug deshalb nicht in Deutschland lassen. Ich sollte sogar meine eigene Hardware beim Dienst einlagern, denen kann ich nicht auch noch dein ganzes Holz zumuten – davon abgesehen, daß sie einiges davon bestimmt gern mal anschauen würden, wär’ doch peinlich für dich, muß nicht sein, korrekt?«
Beate machte ein unbehagliches Geräusch. Wenn Matjasewitsch »zu Ali Baba« fuhr, i.e. entweder nach Riad oder ins besetzte Bagdad, ging es bestimmt um was Wichtiges.
» Mußt du …«, sie zögerte, ertappte sich dabei, daß sie im Begriff war, zu quengeln, weil ihre Ferien unterbrochen wurden, und setzte noch einmal an, mit festerer Stimme: »Mußt du mir alles zurückgeben, oder nur das Werkzeug?«
»Alles, tut mir leid. Ich kann nix einlagern. Ich knicke meine Pads in Berlin komplett, genau wie du, nicht wegen der Reise, aber danach hab’ ich was Schönes in Aussicht, wenn alles klappt.
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