Für immer in Honig
Valerie Thiel abgeluchst, und das einzig Erstaunliche war für Robert, als ihm das wieder einfiel, daß sich Michael Beer noch daran erinnerte.
»Super – Inzest auch noch? Mit meiner netten Verwandten?«
»Die du wahrscheinlich nicht mal richtig kennst. Und die vor allem nicht blutsverwandt ist, oder? Und jetzt, wo du endlich zu deiner Freundin nach Berlin gezogen bist, lebt sie doch sogar in derselben Stadt wie du, oder?«
Robert hob abwehrend die Hände, obwohl er seine Sache schon verloren gab: »Zwei-, dreimal höchstens hab ich die auf Familienfesten gesehen, an Weihnachten und, Dings, beim Geburtstag der Schwiegermutter … Das sind Leute, die … ihre Mutter ist tot, das heißt …«
»Eine Zombotikerin. Ich weiß. Deine Frau hat’s erwähnt.«
»Siehste, und da bin ich dann eh befangen und … und sie hat psychologisch durch ihre Mutter ja wohl genug Ärger am Bein und … also, kann man denn einfach, sag selber, so ein argloses junges Blut in die Fehde wider die Diskurstheorie und dieses Zeugs reinziehen? Ist das nicht purer … ich meine, bitte … also …«
»Ich biete dir ein Honorar, wenn du es machst. Stattlich. Fürstlich. Komm schon: der totale Film, oder? Gib es zu.«
Nichts gab Robert Rolf zu, sondern schwieg eine schwebende, gedehnte Pause lang.
Der Jux war keiner mehr, seit das Honorarangebot stand: Geld, das bedeutet immer »mit Blut unterschreiben«. Robert wollte nicht wissen, wie viel Geld Beer im Sinn hatte. Der spielte mit der dritten Zigarette zwischen den Fingern, lächelte, leckte sich noch mal die Oberlippe und nannte dann erbarmungslos ruhig den Betrag, als habe er sich das alles schon lange überlegt: »Tausend Euro. Vorausgesetzt, es ist dokumentiert … Finde jemanden, der euch fotografiert, schreib es auf … häng ein Vierteljahr in der Szene mit ihr rum. Zeige dich. Bring deine Freundin dazu, es irgendwie abzusegnen. Das wird ein Jahrtausendhit, glaub mir. Wir machen ein Video, wir machen ein Konzeptalbum. Du wirst eine Poplegende.«
Robert spürte, wie die Halle um sie größer wurde, der Fahrstuhl weiter wegrückte, der Kosmos ihn einatmen, verschlucken wollte. Ihm war, als habe er den Musiker mit Mephistos Stimme sagen hören: »Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen, / In dieser Stunde mehr gewinnen, / Als in des Jahres Einerlei.«
Er hätte dennoch nicht zusagen müssen. Er hätte, vor allem, nicht zusagen dürfen.
Die rothaarige Frau am Tisch gegenüber stand auf. Ihre Tischnachbarinnen sahen nicht mehr zu Beer und Rolf – wie lange? –, redeten schon über was anderes, sie aber sah noch einmal mit nicht zu deutendem Gesichtsausdruck – fragend? bedauernd? gelangweilt? – zu den beiden her, vom einen zum andern, wandte sich dann ab und ging fort, die Treppe hoch zur Toilette.
»O.k. Ich versuch’s«, sagte Robert Rolf leise.
»Bitte?« zog der relaxte Teufel ihn auf, das sollte heißen: Lauter sprechen.
»Ich sage, ich versuch’s. Aber nicht wegen dem Geld.«
Er streckte Michael Beer die Hand entgegen, der sie nahm und schüttelte.
Im großen Zusammenhang der Welt kam in diesem Moment ein Sturm auf, von Winden getragen, die nach menschlichen Leibern rochen, der obere Äther über allem dünnte flimmernd aus.
Es blitzte, als, sehr weit außerhalb der Erfahrungswirklichkeit, eine kleine, geschmeidige, bewegliche Dämonin, halb nackt und mehr als nur halb wahnsinnig, mit blanken kleinen Brüsten und fiebrigen Nervenenden, aus dem weißglühenden Nichts heraus Gestalt annahm und sich, kaum war sie wirklich geworden, augenblicklich auf den Weg machte, in einen nicht ganz ahnungslosen fünfzehnjährigen Körper zu fahren.
FÜNFTES KAPITEL
Komm mir bloß nicht so • Spekulation • Ruf nur an, wenn’s wichtig ist • Suchen, Lauschen, Ärger
1 »Haben Sie Ikea-Möbel gekauft?«
Beate war nur eben zum Briefkasten runtergegangen, um die Zeitungen zu holen, auch Rechnungen, Werbepost, das ganze unpersönliche Zeug. Sie mochte diese Sachen, weil nichts davon wirklich an sie gerichtet war: Man konnte sich so schön entlastet fühlen, als interesseloser Beobachter des eigenen Lebens, wenn man das alles einen öden langen Vormittag lang durcharbeitete.
Das Männlein im blauen Kittel, das jetzt vor ihr stand und sie anrunzelte, war mit amtlichem Spreizschritt über die fußfesselhohe Hecke vor dem Haus getreten. Seine weißen Haare und die ausgeprägten Koteletten erinnerten in ihrer Pracht an historische Abbildungen Schopenhauers:
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