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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Tankt die Fahrzeuge voll. In vier Stunden ziehen wir los.«
    Jamal hat übersetzt. Es gab leider keinen Applaus.
    Aber die Leute haben sofort mit der Arbeit angefangen. Darf man als Erfolg werten.
    BC hat mir danach die Hand gedrückt und den Kopf geneigt wie einer, der sich von einem Kamikazeflieger verabschiedet. Dann hat er etwas sehr Seltsames gesagt: »Everyone survives, you know. Somehow, even if they suicide, everyone survives.«
    Ich summe ein Lied beim Schreiben. Wenn alles gutgeht, werde ich eine Weile nicht dazu kommen, Notizen zu machen. Wenn nicht, mache ich nie mehr welche.
    Ich sitze jetzt bei Karin.
    Sie ist unruhig, fängt wieder mit dem Kauderwelsch an: »Otoma­tschiko, Otomatschiko. Schiranakatta no? Otomatschiko.«
    Die Leute haben mich direkt angeschaut, während der Rede. Nein, verkehrt: Was sie angeschaut haben, waren die Glyphen. Ich spüre sie, es summt und kribbelt, es leuchtet irgendwie in meinen Kopf rein. Ich denke klarer als seit Monaten; oder ich werde verrückt; oder beides. Otomatschiko.
    Karin lacht leise. Jeder überlebt? Meine Augen tun weh. Vielleicht sollte ich sie ein Weilchen in Honig einlegen. Ich habe nur einen Koffer, und da kommt das Manuskript rein.
    Noch anderthalb Stunden. Jamal teilt draußen die Gruppen ein.

Irgendein Scheißtag, viel später
    In Sicherheit: wer’s glaubt.
    Kapuzinerküste: Das Ostufer des Sees hat drei neue Siedlungen, eher Festungen. In der nördlichsten davon haben sie uns Flüchtlingsquartiere eingerichtet, die Verletzten aber nach Süden gebracht, weil dort ein Krankenhaus steht. Schiffe verkehren zwischen hier und Tiberias, Kapernaum etc. usw. usf. –
    Der Kapuziner hat den ganzen See in seiner Gewalt, und hält den Südwesten des Libanon besetzt. Morgen wird er hier erwartet. Jamal sagt, die Muslime halten ihn für den Mahdi. Wenn er Wasser in Snapple und Wein in Nozza-La verwandelt, glaub’ ich das auch.
    Karin haben sie mir dagelassen, sie gilt als »weniger schwerer Fall«, weil sie sich inzwischen selbst versorgt, mit kleinen Ausfällen – Zahnbürste statt Gabel benutzen, nach jedem dritten Essen Erbrechen und so. Ein Psychiater aus Haifa hat sie sich angeschaut, er gibt zu bedenken, daß vielleicht überhaupt nix Organisches vorliegt, sondern ein schwerer Schock: »Sind Sie sicher, daß sie ihr totes Kind nicht gesehen hat?«
    Er spricht deutsch, nicht ohne einen Akzent, der mir arabisch vorkommt, aber immerhin. Sein Name ist Tepper und seine Großeltern sind 1947 aus Deutschland (bzw. »dem Osten des Reiches«, wie er vage sagt) ins Land gekommen, das es nicht mehr gibt. Verwandte dieses Mannes, denke ich, sind bestimmt von Deutschen ermordet worden. Und er fragt sich jetzt, ob meine deutsche – ja, sagt man: Freundin dazu? – vielleicht unter Schock steht.
    Flüchtlinge. Wir haben fast zwei Tage gebraucht, bis wir den See unter uns sahen, und die Flugzeuge kamen nicht zurück, um uns Rückendeckung zu geben, oder Feuerschutz aus der Luft, oder wie das heißt. Einmal zwar flog irgendwas über uns weg, nach Nordosten, in die rich tige Richtung sozusagen, aber viel zu hoch – das waren sogar mehr Maschinen als die, die uns rausgehauen hatten, beim Camp, und schwerere, bauchigere, größere, sagt Jamal. Er will fast ein Dutzend gezählt haben. Aber vielleicht stimmte die Richtung ja doch nicht und es waren Syrer, die uns gesucht haben. Jedenfalls war’s nicht von Nutzen.
    Unsere Feinde – wie das klingt! – haben uns bis zum Steilhang gejagt: Syrer, Zombotiker, Zombies, Kundschafter, wer weiß, und zweimal in der Nacht angegriffen, nach Heckenschützenart, von den schwingenden Bergen runter, wenn wir bei kleinen Hainen Rast hielten. Die dritte Gruppe hat nie zu uns aufgeschlossen – fünfzehn Personen, keine Verletzten dabei: Der Franzose, Moritz, Anna, Edith, die zwei lustigen alten Männer aus Jaffa sind weg, der Schuster und sein Freund, der abgesehen von Chicas Mörderbrühe den besten Kaffee gekocht hat. Alle weg. Keine Beerdigung, kein Abschied. Von der Nacht verschluckt.
    Es gab eine Wahl, ich bin jetzt auch o ffizi ell der Sprecher unserer Gruppe. Jamal übersetzt ins Arabische, Nicole aus Tunesien in Iwrit, sie spricht es fließend.
    Ohne Jamal wäre ich gearscht hier. Ich habe jeden Grund, ihm dankbar zu sein, ihm zu vertrauen. Aber irgendwas weiß er, das er mir nicht sagt. Ich glaube nicht, daß das für mich gefährlich ist, aber vielleicht für ihn – er linkt mich nicht, das spüre ich, aber vielleicht schultert

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