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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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er mehr Verantwortung, als er möchte. Ich »administriere« jedenfalls, teile Räume zu, spreche mit den Leuten, führe Buch über unsere Waffen, die wir den Typen, die diese Siedlung verteidigen, aushändigen mußten, der Zwang war sanft, aber deutlich.
    Hier herrscht eine ganz hibbelige Mobilmachungsatmosphäre, irgendwas haben die vor, ich meine damit: mehr als die Verteidigung ihrer drei Festungen. Wir sind ihnen dabei ein bißchen im Weg, nehme ich an, aber sie lassen’s uns kaum spüren, sind vielmehr äußerst rücksichts- und teilnahmsvoll, wir müssen nicht mal in den Gemeinschaftssälen essen – andererseits: Das könnte auch den Zweck haben, die Moral dieser Leute hier nicht runterzubringen, wir sind kein erhebender Anblick.
    Mein Minidiscplayer ist weg, wo hab’ ich den wohl verloren?
    Man respektiert mich, das heißt: mein Gesicht. Skriba, der mit uns hergekommen ist, mit der ersten Gruppe, atmet. Er schläft. Er sieht aus, als ob er wartet. Ich habe ein paar von seinen Büchern mitgenommen. Es ist kühler hier unten, tagsüber, dafür nachts nicht so kalt, eher lau, mild. Die Luft ist feucht und reich, auch blühen hier weiße Bäume, wie in unserm Garten, den wir aufgegeben haben. Einen Computer haben sie mir hingestellt. Dann kann es ja weitergehen, wie – wie?

3.Mai 2012
    »Hallo, Rölfchen, wie geht’s? Bock auf ein Match? Der Sand bei mir ist super, trittfest, der Platz könnte nicht gepflegter sein.«
    Einfach so, ein arschglatter, sehr effektvoller Auftritt, muß man sagen. Könnte nicht gepflegter sein, um hier gleich mal eine gri ffi ge Wendung zu borgen. Mahdi, Messias oder Robin Hood: Der größte Treppenwitz, den ich je erlebt habe – ich kenne den Kapuziner seit Neunzehnhundertfuckingachtzig, und sein Name ist Philip Klatt.
    Die Kapuze und der Umhang dran sind grün – wären sie rot gewesen, hätten sie mich an seinen Schal erinnert, den er die ganzen Achtziger durch im Winter getragen hat. Ich weiß noch, morgens immer: Ich habe ihn abgeholt, manchmal war er noch im Bad, dann hat mir seine Mutter die Tür aufgemacht, und ich saß in der Küche. Klatts hatten so eine Uhr, die ganz leise tickte, unheimlich fast, und dann hat die Mutter, glaube ich, Brot getoastet … Ich wollte auch so eine coole schwarze Jacke, auch so einen Schal, auch so eine lässig struppige Kurzhaar-Frisur, sah aus wie ein Sportler, obwohl Philip nie dieses obenhin Pseu do­lässige kultiviert hat, das an unserer Schule die Jocks pflegten. Jessas, das ist alles so lange her.
    Die Himmelreichsstraße, die zwei Begräbnisinstitute auf dem Weg, die Bahnschranke unterhalb der Tankstelle, wegen der man dann immer zu spät kam, das Haus von Frau Flasch kurz vor der Schule, der Fahrradständerbogen, dieses Rondell, wo wir uns immer getroffen haben …
    »Wir wollten uns da auch treffen, wenn die Welt untergeht«, sagt er, und legt mir die Hand auf die Schulter, wie ich ihm meine. Winnetouscheiße: mein Bruder.
    Aber es ist ernst gemeint, jedenfalls von mir.
    »Sorry«, sage ich also, »aber ich war verhindert. Konnte nicht zum Fahrradbogen.«
    »Verhindert? Was war denn wichtiger?«
    »Ach, Lolitageschichten, Zombies, was man heute so hat. Bin gefressen worden.«
    »Ein Schöninchen, hm? Sieht aber gut aus.«
    »Was? Wer?«
    »Die Butterbrotpapierbacke.«
    »Vielen Dank, Grünkäppchen.«
    Als ob überhaupt keine Zeit vergangen wäre. Fehlt nur noch Jenny.
    Er ist vor drei Jahren ins Land gekommen – davor hat er in Süddeutschland dazu beigetragen, die Schäden zu begrenzen, die der Totentanz angerichtet hat: »Es kam ein Kerl daher, mit einer kleinen Armee, ein Christoph Reuland, ehemals Grenzschutz oder so. Der hat in Bayern und Baden-Württemberg die Untoten verjagt. Ich bin in seinen Verein eingetreten, habe sogar einen Eid drauf geleistet. Eine Art Freikorps, könnte man sagen – ziemlich finsterer, rechtsradikaler Haufen, später der NATO -West a ffi liiert, wo er’s dann richtig zu was gebracht hat. Inzwischen ist er, wie soll man sagen: Lord Protector von Restdeutschland und Teilen der Schweiz, Frankreich auch. Von ihm habe ich das Kriegführen gelernt.«
    Sagt er so, der kluge alte Phil – immer noch schmal, tough wie Ivan Lendl, ein auffallend schöner Mann, sorgfältig reinlicher Militäranzug, unverkennbarer Ausdruck von »Weiß, was er tut« um ihn, auch die Kapuze ist clean – anfangs irritierend allerdings, hinten sehr spitz –, er hat sie für mich abgenommen, und ich verstehe seitdem, warum

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