Für immer in Honig
Gottes Kriegen und drum rum vergossen hatte. Wann habe ich das letzte Mal Angst gehabt? Vielleicht ist einfach ein Dauerzustand draus geworden, den ich nicht mehr mitkriege. Etwa so, wie das früher war, wenn man eine »Karriere« gemacht hat: schon genauso militärisch wie diese ganze Kacke hier. Und im nächsten Leben werde ich dann wieder Schriftsteller.
Wann werden wir frei sein?
9. Schewat, siebtes Feldzugsjahr
Mein erstes Treffen mit Eisin in Hebron.
Eine sehr schöne Frau Anfang Vierzig, also so alt wie Phil und ich. Audrey-Hepburn-Augen, strenger Mund wie Sigourney Weaver, glatte, hinterm Kopf resolut zusammengesteckte schwarze Haare, ein paar graue Strähnen, tadellos sitzende grüne Uniform, hohe Stiefel. Schimon betet sie an. Jamal, Philip und der allmählich doch sehr versoffen wirkende Jabotinsky halten respektvollen Abstand.
Zwischen zwei Sitzungen setzt sie sich absichtlich neben mich, am runden Tisch, als alle rausgegangen sind und ich »nachdenklich« mit meiner Sonnenbrille spiele, in Wirklichkeit autistisch und mit wundem Schwanz wegen gestern abend – Rita, rothaarig, aus Gloucestershire, ihr Vater ein Mitnadev aus Philips erster Truppe: Die zweite Generation ist fertig und geschlechtsreif.
Dann fragt Eisin mich, ob ich ihr mißtraue, und bemerkt: » Your silence was disturbing .«
Ich lache und erkläre, daß ich in das alles hier bloß so reingerutscht bin, bei solchen Sachen auch selbst nie spreche, sondern das den Glyphen überlasse, und sie schaut mich schweigend an und scheucht mit einer leichten Kopfbewegung einen ihrer Gorillas aus dem Raum, der mit irgendeiner Mitteilung angedackelt kommt. Dann erzählt sie mir in makellosem Oxford-Englisch eine schreckliche Geschichte: »Es muß im April 2002 gewesen sein, etwa ein halbes Jahr nach den Anschlägen aufs World Trade Center also. Ich war in Hebron, hier – nicht weit von diesem Ort sogar. Dort drüben, die Straße runter: Die blutverschmierten Leichen von drei Palästinensern, die man im Verdacht gehabt hatte, uns, den Israelis, bei unserer Arbeit geholfen zu haben, lagen vor der Al-Ansaar-Moschee – zwei hatte man an den Füßen von Elektrizitätsleitungspfosten runterhängen lassen, ein dritter lag auf dem Rücken auf der Peace Street – ja, so hieß die Straße damals. Hunderte von Leuten kamen, auf Pferden, in Autos, zu Fuß, um sich diese drei anzuschauen und auf ihre verstümmelten Körper zu spucken. Kinder, Frauen und Männer versammelten sich um die zwei Hängenden, lachten, lächelten, es wurden Fotos gemacht. Das Ganze war eine Vergeltungsaktion, weil wir einen gewissen Marwan Zalum erschossen hatten, den 43-jährigen Anführer einer terroristischen Gruppierung, die sich ›Tanzim-Miliz‹ nannte. An diesem Morgen hatten Tanzimleute die drei ausfindig gemacht, die uns zu Zalums Versteck geführt hatten. Es gab ein ad-hoc-Femegerichtsverfahren auf der Peace Street, man sprach sie schuldig. Die Männer wurden vor Zalums Auto aufgestellt und in die Köpfe geschossen. Dann hat die Menge sie so zugerichtet, wie wir sie fanden. Die Palästinensische Autonomiebehörde war nicht imstande, uns die Militanten zu übergeben oder sie ausfindig zu machen, die wir mit Li sten suchten, aber Kollaborateure hat der Mob immer sehr schnell gefunden.«
Ich frage sie, warum sie mir das erzählt.
»Weil wir eines der vielen Länder am Rand der sogenannten Dritten Welt waren, Herr Rolf« – sie benutzt pointiert die deutsche Anrede »Herr« und weiß scheinbar nichts vom Golem noch vom ruhmreichen General Fickscheiße – »die auf das, was Sie den Totentanz nennen, vorbereitet waren. Man hat hier schon vorher Leute in die Köpfe geschossen. Das verstehen Sie nicht, das können Sie nicht verstehen, als Europäer, als Nachkriegsdeutscher. Ich will Ihnen kein schlechtes Gewissen machen, verstehen Sie, ich will Ihnen nur zeigen, wo Ihre Grenzen sind. Ich werde dieses Land wieder aufbauen. Denn die Leute, gegen die ich damals gekämpft habe, haben heute andere Sorgen, als sich an Bushaltestellen in die Luft zu sprengen oder aus dem Gebüsch auf jüdische Militärärzte zu schießen. Ich bin nicht gläubig, weder orthodox noch reformiert, aber meine alte Arbeit hat mir beigebracht, daß ich eine Jüdin bin. Meine neue Arbeit wird sein, dieses Land den Kindern all der Menschen zurückzugeben, die im damaligen Konflikt auf einer der beiden Seiten standen oder dazwischen zu ersticken drohten. Wir brauchen Sie nicht, Herr Rolf, und auch nicht
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