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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Fels in großen Tiefen porös ist, und daß die organischen Verunreinigungen, das ist der eigentliche Hammer, von Lebensformen tief im Innern der Erde stammen, die wir nicht kennen. Weil die Photosynthese nicht am Anfang stand, sondern die Nutzung thermischer Energie.
    F: Am … äh … Anfang …?
    J: Am Anfang des Lebens.
    F: Und von wem stammt dieser Irrsinn?
    J: Von den Russen. In der Sowjetunion haben sie das offen diskutiert – soviel zur Sache mit der Forschungsfreiheit, in diesem Fall waren die Dissidenten im Westen unerwünscht. Was nicht heißt, Stalin hätte mit seiner antidarwinistischen Lysenko-Sauerei nicht eines der düstersten Kapitel der Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Die waren schon teilweise schwer behämmert, unsere russischen Verrätergenossen.
    F: Also die Russen.
    J: Ja, und inzwischen auch Amis. Heute vertritt vor allem der exzentrische, aber brillante Thomas Gold von der Uni Cornell die Theorie, ein Radiophysiker, Weltraumforscher … und Spinner, natürlich.
    F: Weil die Theorie Quatsch ist?
    J: Nein, weil man Spinner sein muß, um etwas zu vertreten, was sonst gar keiner glaubt. Auch wenn sie wahr sind: Einsame Feststellungen trauen sich nur Spinner.

EINUNDFÜNFZIGSTES KAPITEL
    Nachdem fast alles weg war • Mungu. Mungu Mkono • Viel zu spät: Wurzelkunde • Festung angreifen • Wen man so alles verliert
    1  Der Regen wurde lebendig, die Buchdeckel der Welt, aus nasser Pappe, bogen sich ihm entgegen, wollten ihn aufsaugen, sich mit Hilfe der allgegenwärtigen Feuchtigkeit aufl ösen.
    Überall verhöhnten neue grüne Schatten das Wachbewußtsein der Neusiedler. Die Lieder, die Dieter hörte, drüben von der andern Villa her, widersprachen ihnen nur kraftlos. Der Hausbesitzer spielte selber, an einem teuren weißen Klavier, er hieß Mister Cohn, war alt und weise, verwitwet und graubärtig und wußte, daß seine Lieder gegen den Ort nicht ankamen.
    Weil er einer der ganz wenigen Amerikaner war, die sich in den letzten fünf Jahren zu den Neusiedlern gesellt hatten, fragte Dieter Fuchs ihn eines Abends, warum er überhaupt hier leben wollte. Cohn ließ sich Zeit mit der Antwort, und als sie kam, war’s eine Gegenfrage: »Ihre Frau, Stefanie, die hat keinen schweren … organischen Defekt, oder?«
    »Nein, ich … das ist eine schleichende Sache. Sie hat sich mal eine Vergiftung zugezogen, damals in Deutschland, vor dem Totentanz, es gibt gewisse Langzeitschäden. Aber eigentlich äußert sich das nur in Trägheit, schwachem Antrieb. Ab und zu … wir beschäftigen sie, sie malt, sie bindet Blumen. Sie kocht ein bißchen, geht oft spazieren. Sie kann sich auf nichts, das von innen kommen müßte, konzentrieren, sagt sie – keine eigenen Einfälle, kein Antrieb, aber wenn man ihr was gibt, ist sie froh.«
    »Seien Sie froh«, sagte Cohn, plötzlich unbeherrscht, er sah mit einem Mal aus wie der einsame Mann im Mond, enttäuscht und graniten. »Seien Sie froh, daß sie jemand haben. Meine Frau und ich, wir haben alles geteilt, bei uns war alles … wir waren uns immer einig, welche Filme gut sind, welche Bücher, welche Musik. Sie mochte meine Musik, weil ich nur Musik gemacht habe, die ich selber gern gehört habe … hätte … Sie war eine richtige Amerikanerin – ist mit mir nach Graceland gefahren und zum Mount Rushmore und nach New Orleans. Unser großes Land, wissen Sie – eine ganze Welt. Was brauchten wir Europa? Afrika, Asien? Es war alles da. Wir hatten einander. Und dann ist sie gestorben, an diesem Rotfieber … Rotfeuer. Von dem es heißt, daß unsere eigenen Leute es freigesetzt haben. Dann wieder sagen sie, es wäre nicht freigesetzt worden, sondern entkommen, aus irgendwelchen Tanks. Wissen Sie was? Es interessiert mich nicht. Antrieb, sagen Sie. Antriebsschwäche, Trägheit. Ich habe auch keinen Antrieb mehr. Ich wünschte, ich wäre senil und könnte mich nicht mehr konzentrieren auf das, was von innen kommt, denn was von innen kommt, tut bloß weh. Plötzlich habe ich Amerika nicht mehr. Meine Musik nicht mehr.«
    »Es tut mir leid.«
    »Und da dachte ich«, nahm Cohn den Faden wieder auf, »als ­Ameri­ka weg war, vielleicht sollte ich jetzt rumreisen – die Welt ist in einem schlimmen Zustand, aber mein Geld ist noch was wert. Was mich immer … was uns außerdem immer am Reisen gehindert hatte, war der Gedanke, die große Welt könne gefährlich sein. Wir waren in Miami, wir waren in New Mexico, aber das kam uns nicht gefährlich vor, selbst als dort

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