Für immer in Honig
schon die Zombies an den Rändern der Städte ihr Unwesen trieben, im Sumpf, in der Wüste. Es war nicht gefährlich, es war Amerika. Und dann hörte ich von der Insel, von den Neusiedlern, davon, daß Europa hier seine Besten und Hellsten in Sicherheit hat bringen wollen, im heiteren Klima, unter Palmblättern, und ich dachte, das versuchst du, da gehst du hin. Das ist alles.«
Was hätte Dieter Fuchs darauf erwidern sollen?
2 Warum, fragten sich die Neusiedler viel zu spät, gab es auf der Insel eigentlich keine W?
»Wir sehen die nur im Fernsehen, auf der Insel lassen sie sich nie blicken«, sagte Stefanie Mehring.
»Vielleicht ist das ein gutes Zeichen«, riet Dieter, sehr unsicher.
»Es regnet jeden Tag«, maulte Stefanie, »und das Kontingent Marines ist verstärkt worden, und die Einheimischen formieren sich zu diesen Milizen, Tonton Macoutes, in den Städten, und alles riecht schlecht – also, ich könnte ein gutes Zeichen gebrauchen. Hast du gehört, daß wir die Häuser räumen sollen und in die Zentren ziehen? Es ist nicht mehr sicher, sagen sie.«
Das stimmte: Zu häufig warfen Leute, die nicht zu fassen waren, jetzt Brandsätze durch die Fenster oder auf die Dächer, zu oft wurden Leute auf ihren Veranden erschossen. Die klugen alten Männer der ersten, damals urdemokratisch per Siedlerentscheid akklamierten Neusiedlerselbstverwaltung gab es längst nicht mehr: Jacques war friedlich eingeschlafen, auf seiner grünen Samt-Chaiselongue, Jürgen war mit zweien seiner Schüler in einen Heckenschützenhinterhalt geraten, eine Woche, bevor er hatte aufbrechen wollen, zurück nach Deutschland, die Insel endgültig hinter sich zu lassen: »Hier ist es inzwischen schlimmer als in Europa, nicht wegen der Toten, aber wegen der Terroristen.«
Manchmal ging Stefanie mit geschlossenen Augen in den Regen raus, mitten in der Nacht, stand da unter den grünen Schatten, ließ sich durchweichen bis auf die Knochen. Dieter hatte den Verdacht, daß sie das tat, um da draußen vielleicht besser weinen zu können, im warmen Regen, fragte sie aber lieber nicht.
Sie redeten überhaupt nicht mehr viel miteinander, als es zu Ende ging.
Am Anfang war Dieters Arbeit ihm noch ein Halt gewesen, er wollte ja unbedingt ausharren, an ihrer Seite, wie der Pestarzt bei Camus, also fragte sich nur: Womit impfen? Mit dem Lesen und Studieren, war die Antwort, auf die er verfiel, mit dem Rauskriegen, was das ist, dieses afrikanische Wissen, die Ohrringe »contre la mauvaise parole«, der »cadre de la vie«, die »anomalies et déviations de la parole«, das ganze krude ethnische Zauberzeug: sammeln, vergleichen, systematisieren und den Nomenklaturen und Taxonomien des Westens, der Aufklärung juxtaponieren – der Rest würde sich ergeben, auf einer höheren Ebene, nach höherer Weisung, wie das afrikanische Wissen sagte: »Mungu. Mungu Mkono.«
Gott. In Gottes Hand.
Das kannte Dieter wenigstens: Ja, es dauert, und man bestimmt nicht selbst, wie lange es dauert, bis sich Muster ergeben, das war bei seiner Doktorarbeit damals auch nicht anders gewesen, das muß man aushalten, nicht mit fertigen Behauptungen rangehen, sich auch mal vom Stoff überraschen lassen, nicht das Material vergewaltigen. In Wirklichkeit waren das alles Ausreden für eine profunde Wehrlosigkeit im Angesicht des bloßen Krempels, den man bei dergleichen anhäufte, über Wochen und Monate und Jahre.
Die Arbeit mit Stefanie teilen – das gab er auf, spätestens im dritten Jahr, als das erste Mal der lange, anfangs orkanartige, dann einfach wochenlang gießende Regen auf die Welt gefallen war und Dieter den Arm um sie legte, zwischen ihren vielen Kissen, um sie aufzumuntern, mit ein bißchen afrikanischem Wissen: »Schwarz, sagen sie, noir, das sei die couleur de la pluie et de la purification, ist das nicht merkwürdig? Wir nehmen den Regen anders wahr, als transparent oder höchstens blau, aber sie denken, er wäre schwarz. Und weil der Regen schwarz ist und die Sachen wäscht, ist das Reinigen und Waschen an sich schwarz.«
»Schön, Schatz«, hatte sie erwidert, und er rückte von ihr ab, ließ sie los, mußte volle fünf Minuten lang mit sich kämpfen, mit einem Wutausbruch, der ihm die Knöchel der Finger weiß färbte und an allen Muskeln und Sehnen zog. Beinah wäre in diesem Moment alles hochgekommen, die Jahre des Aneinanderhängens über dem Abgrund dieser lächerlichen Existenz, wie sie ihn immer aufgezogen hatte, damals schon, in Deutschland,
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