Für immer in Honig
Notiz zu tippen, in Form einer neu eröffneten Datei, noch ohne Namen: »Untersuchen, wie gerade auch apollinische, auf den Liberalismus alteuropäischer Prägung setzende Politik, die Menschen wie Aristide vorschwebte, auf mythische Beigaben nicht verzichten kann.«
Da: schon gebannt, das Unbehagen, durch einen neuen kleinen Forschungsplan. Müßte man mal, könnte man mal, sollte man vielleicht.
Dieter war im Begriff, aufzustehen und zur Bücherwand zu gehen, um dort nachzuschlagen, ob die ethnologische Literatur wohl etwas über Echos zu sagen hatte – gab es das überhaupt, Echos, in diesen Savannenländern? –, da hörte er ein Poltern, als ob etwas umgefallen wäre, und rief nach oben: »Ste ffi ? Ist bei dir alles in …?«
Ein blaugrüner Blitz fuhr gleißend durchs Fenster wie eine breite Klinge und schnitt sein Gesichtsfeld mitten entzwei.
Die Erschütterung, die folgte, zog ihm den grobgeknüpften Teppich, die Holzdielen, einfach den ganzen Boden unter den Füßen weg, daß er über seinen Schreibtischstuhl fiel, mit diesem kämpfte, zur Seite kippte und endlich geblendet und schockiert, mit zerbrochenem rechten Brillenglas, verbogenem rechten Brillenbügel, rasendem Puls und keuchendem Atem liegenblieb. Der Nachbildeffekt auf der Netzhaut funzelte noch eine Weile, bildgebende Verfahren neuronaler Natur fuhren hupend ineinander, im Ohr sirrten Mesmersche Hornissen.
Dieter blinzelte, befühlte seine Stirn: ein dünnes Rinnsal nur, wenig Blut, wahrscheinlich hatte die Lehne des Stuhls ihn getroffen. Dann winkelte er die Beine an, drehte sich auf den Bauch, drückte sich in die Höhe. Auf Knien und Händen, während sich das Rumpelgeräusch noch zweimal wiederholte und die Schatten am Bücherbord ihm anzeigten, daß schwächere, aber genauso giftgrüne Blitze wie der, der ihn geblendet hatte, sich in kurzem Takt – eine Sekunde? anderthalb? – wiederholten, arbeitete er sich zur Treppe vor und rief wieder: »Ste ffi ? Stefanie?«
Er bekam keine Antwort und versuchte, sich daran zu erinnern, wie die beiden Marines hießen, die im Jeep ein Stück weit weg vom Haus, an der Kreuzung der schmalen Schotterstraße und der Bergserpentine, jetzt häufig nachts Wache hielten, und zwar, wie die Siedlungsverwaltung versprochen hatte, »bis eine Entscheidung hinsichtlich eventueller Rélocation getroffen werden kann«.
Ben? Bill? Und Joanne, oder Jackie … Jaka … irgend so was.
Es war ohnehin zu laut, um nach ihnen zu rufen: Jetzt knallte etwas wie Verpackungsfolienluftblasen, die jemand mit Daumen und Zeigefinger zerdrückte, pluck-pluck-pluck, dann schneller und mehrstimmig: pluckpluck-pluckpluck.
Dieter kauerte an der Wand, neben dem Kleiderständer, und rief noch einmal, noch zweimal, noch ein halbes Dutzend Mal nach seiner Frau. Dann gingen alle Lichter aus und etwas brüllte direkt vor und über ihm. Dieter spürte eine kalte Klammer, salzig knisternd, seinen Nacken greifen, schmeckte Kupfer im Mund, dann schlug etwas gegen seine Brust, von unten, oder aus dem Jenseits, ganz heftig, schlug durch ihn durch, als wäre er aus schwarzem Regenwasser.
Dieter verlor das Bewußtsein.
4 »Soll ich Ihnen was über Ihr afrikanisches Wissen sagen, junger Mann? Übers Wissen der anderen, und darüber, wie anders sie sind?« Die Stimme war feurig, sprechender Vulkan, ein alter Faust-Darsteller von den Anthroposophenfestspielen. Dieter hörte nur die Hälfte. Ihm war mächtig schwindlig und schlecht, er hatte sich auf seine Hemdbrust erbrochen. In seinem linken Ohr klingelte es, die Brille war weg.
»Tu pense que …«, fragte jemand rechts von dem Bart, aus dem die Lavastimme kam. Der Bart wedelte, der Kopf dazu nickte kurz. Immerhin siezt er mich, dachte Dieter mit der voreiligen Klarheit, die manchmal über einen kommt, wenn man eben erst aus einer Ohnmacht aufgetaucht ist.
Dieter wollte etwas sagen, aber dann war ihm wieder schlecht, und etwas stach in den Gaumen, auch in den Kopf, wie wenn man zu schnell etwas sehr Kaltes gegessen hat: »Ruckeln Sie nicht so rum, Fuchs. Hören Sie mir lieber zu«, sagte der Bart. Eine Hand schob sich unter Dieters Hinterkopf, hob ihn etwas an, so daß er Klemens August Braun jetzt richtig ins Gesicht sehen konnte.
Den kenne ich, fiel Dieter ein, der war doch damals mit einem großen Stock auf dem Platz vor der Bar zugange, nach meinem Vortrag.
»Ich habe Ihr Skript gelesen, Fuchs. Wissen Sie, was da fehlt? Da fehlt, was die Franzosen am meisten überrascht hat, als
Weitere Kostenlose Bücher