Für immer in Honig
nachts aufs Dach geklettert, bei dieser Christine, und lagen zu viert da, in der Sommerhitze, unter unendlich vielen Sternen, während die Eulen anfingen mit ihrem Buhu. Es war warm, aber trocken, dann kam ein Wind auf, und rauschte in den Tannen, und es roch nach Jasmin und nach Gras.«
»Es riecht nach Toten, aber nicht mehr so arg wie letzte Woche. Nach Holz, nach Kohle. Nach Steinstaub auch.«
Er sagte: »Ja, der Geruch war besser damals.«
Wir schwiegen.
Dann fuhr unten sehr laut ein Panzer durch. Er paßte kaum in die Gasse, und die Luke öffnete sich. Ein Mann kletterte raus, stieg auf den Panzer, zwei Fahnen in den Händen, links die palästinensische, rechts die israelische.
Wir schauten uns an und lachten.
Als sich die Heiterkeit legte, sagte er, ohne mich anzusehen: »Wir müssen alle abtreten, und zwar fix. Ich weiß, was du denkst: daß ich hier den Fidel Castro machen will, und du den Che machen mußt. Aber ich will keinen politischen Einfluß. Keine Macht. Es gibt fähige Leute, auch diesseits von Premierministerin Eisin, der ich alles Glück der Welt wünsche. Die Besten vertrauen ihr, und sie haben Grund dazu. Auch von unsern werden welche mitarbeiten, wenn es wieder besser wird mit allem: Jamal, Sol, Benjamin, die Frauen von der Vierunddreißigsten.«
Es stimmt: Selbst wenn das hier am Anfang eine Militärregierung sein soll, die mit Solanum ihre Wehrhaftigkeit finanziert – wir haben das nie gemacht, wir haben, auch nach der Schlacht von Jerusalem, das falsche Fleisch immer verbrannt –, selbst wenn die neue Zeit im moralischen Zwielicht beginnt: Den Kapuziner und seinen verglyphten Freund, Brigadegeneral Fickscheiße, brauchen sie nicht mehr.
Er sagte: »Wir waren Einpeitscher, wir haben … unsere … Geschichten haben den Leuten Kraft gegeben. Wo wir … ähem rumliefen, lief die äh … Unbeugsamkeit rum, verstehst du …«
»Wo er sich zu Tisch setzt, setzt sich die Unzufriedenheit vor die Suppe oder so. Brecht, über den Revolutionär.«
»Brecht. Well, fuck me. Ich rede in Zitaten und weiß es nicht. Wir haben sie verjagt, darauf kommt es an. Weißt du noch: God damn …«
»God damn fascist sons of bitches. Klar weiß ich’s noch. Philip?«
»Ja?«
»Ich bin froh, daß du’s selber einsiehst. Daß wir Platz machen müssen. Den Juden, den Arabern.«
»So, wie du’s sagst, hört es sich nobel an. Das ist es aber gar nicht. Bloß, weißt du, kann ich das einfach wirklich nicht, was hier jetzt nötig ist. Was aufbauen. Ich kann Angst und Schrecken verbreiten, der Armee der Finsternis eine reinsemmeln. Ich hab’s am Grab meiner letzten Freundin geschworen, daß ich das machen werde. Das war so ein zusammengeschossener Steinhaufen, dieses Grab – von Nazis demoliert.«
»In Deutschland?«
»In unserm blöden Städtchen sogar. Wo wir herkommen. Sie … Astrid wäre überrascht gewesen, daß ich hier …«
Er redete nicht weiter, ich fragte: »Was?«
»Israel wäre nicht ihre erste Wahl gewesen, für die Flitterwochen.«
»Mochte keine Sonne, die Frau?«
»Mochte keine Juden«, sagte er, und schüttelte den Kopf.
Er hatte noch nie davon gesprochen: Astrid.
Er griff in die rechte Brusttasche meiner Fliegerweste, holte meine Kaugummis raus, zog einen, fummelte ihn aus der Verpackung, ließ das Papierchen nach unten segeln, von den Hitzewallungen der Luft zum Tanzen gebracht. Steckte sich den Kaugummi in den Mund und wechselte das Thema: »Ich hab’ ein Angebot aus den USA , super Frührente. Militärberatung. Ich dachte mir, du kommst vielleicht mit. Sag noch nix, überleg’s dir in Ruhe. Ist noch paar Monätchen Zeit bis dahin.«
Die Isawiyya heulten wie die Wölfe, die viele von ihnen ja wirklich waren. Sie brauchten keinen Mond, ihnen reichte der Sieg, den sie mit uns errungen hatten. »Wir wollten mal ne Band gründen, erinnerst du dich? ›Full Copper Repipe‹ sollte sie heißen«, sagte ich zu Philip beim Aufrappeln von der Mauer, und er erwiderte, bedauernd: »It’s been a long time since I rocked and rolled.«
Jetzt sitze ich im King David, in einer der größten Suiten, mit Karin, und überleg’s mir tatsächlich in Ruhe. Schimon fliegt heute nacht her.
Ich werde mich nur kurz auf dem Bankett zeigen, dann komme ich wieder hier hoch, und werde mit Karin fernsehen, ihre Hand halten, vielleicht warten, ob sie was sagt.
Der Krieg ist zu Ende; der Frieden noch fern.
4. Tischri, erstes Nachkriegsjahr
Ich habe den Helm in die Hand genommen, der auf dem
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