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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Bord steht, und ihn abgewischt. Er wird staubig. Ein gutes Zeichen. Schimon ist befördert worden.
    Ich sehe ihn kaum noch. Eisins Nichte, die ihr recht ähnlich sieht, eine Mirjam, trifft sich mit ihm, er geht mit ihr auf sogenannte Anlässe, Happy End in Sicht.
    Liebe ist einfältig, ich wünschte, ich wäre es auch. Immer noch Berichte von Siegesfeiern der Isawiyya, die mir nicht gefallen – aber, hey, das ist deren Kultur: Sie zünden Feuer an, auf den Hängen, in der Nacht, vor den schwarzen Ölbäumen, und tanzen drum rum, immer schneller, werfen sich zu Boden, heulen, und dann werden Schüsseln voll mit lebendigen Schlangen, Echsen, Kröten und Skorpionen aufgetragen – die W werfen sich drauf, stopfen sich die Viecher in die Münder, kauen, reißen, beißen, verschlingen.
    Es heißt, sie werden bald die Stadt verlassen.
    Ich bin ihnen dankbar: Ohne sie hätten wir nicht gewonnen; und vor dem Bajonettverrückten, Brig. Gen. Fickscheiße, haben sie den größten Respekt.
    Aber ich glaube, der Wiederaufbau geht ohne sie glatter vonstatten.

6. Tischri, erstes Nachkriegsjahr
    Einer von den NATO -West-Beobachtern der Wahlen ist Spanier, aufgeräumter Typ, ehemals Augenarzt, jetzt hoher Militär, ein europäischer Mitnadev sozusagen. Hat sich mit Schimon angefreundet und gestern mit uns gegessen, und mir heute nacht Iyaris Miranda-Fragment übersetzt: »Dies ist die Welt, dies bin ich, es gefällt mir, durch den Spiegel meines Selbst hindurchzusehen, ich werde einen Schal anlegen, sie flüsterten im Wohnzimmer, hörten auf zu reden, als ich zurückkam, ich wurde überwältigt, mein Haar fühlt sich sehr kalt an, zünde meine Zigarette an, Mitternacht, sie sahen auf die Uhr, sahen auf den Tisch, die sauberen Teller, Gabeln, zwei Weingläser, zwei Uhr, zwei weibliche ­Gläser betrunken vom Wein eines weiblichen Körpers, sie gingen fort und dachten, es habe gar kein Abendessen gegeben, ich vergaß, ihnen zu sagen, das Abendessen war ich.«
    Das also hatte die Frau sich ins Poesiealbum gemalt, die uns an die Syrer verraten hat.
    Gruslig.
    Die Ausgangssperre ist immer noch nicht aufgehoben.

8. Tischri, erstes Nachkriegsjahr
    Heute wurde alles anders.
    Heute wurde alles gut.
    Jetzt bin ich endlich wieder richtig überflüssig.
    Ich saß in meinem Büröchen, am Rechner, erfreut darüber, wie viel neue Websites es schon wieder gibt, wie nahe wir dem Status Quo Ante sind im WWW , auch wenn das täuscht, weil sich der Spaß auf vergleichsweise wenige Server verteilt – demnächst soll es eine Riesenkonferenz zur Netzwiederherstellung geben, in Amerika, unter der Schirmherrschaft der dortigen Präsidentin. Da saß ich also, wie gesagt, und hörte draußen eine Frau sehr aufgeregt nach mir verlangen: »Quiero hablar con el jefe! El Jefe, El General!«
    Meine Vorzimmerbewaffneten wollen sie abweisen, aber sie setzt sich durch, es rumpelt, ich stehe auf, kriege plötzlich so einen Flashbackschauder: Spanisch. Iyari, die Chica …
    Ich eile zur Tür, öffne sie, es ist natürlich jemand ganz anderes: eine von den Internationalen Brigaden, Luisa heißt sie, glaube ich, sie war am Tempelberg dabei – ich winke sie rein, biete ihr was zu trinken an.
    Sie kommt lieber sehr schnell zur Sache: Man hat das Mädchen gefunden.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, hüstle ein paar Floskeln.
    Kann es wahr sein?
    Denn ich war sicher gewesen, hatte das in meinem Herzen beschlossen, als traurige Wahrheit: Aeryn ist tot. Aber sie lebt, sie hat alles überlebt: die Mißhandlungen, die Zwangsprostitution unter den Kollaborateuren – Luisa deutet’s nur an, aber ich wußte es ja, bin schon damals auf dem Golan ins Bild gesetzt worden –, die Belagerung durch uns, die Schlacht, das alles … Sie stand unterm Schutz einer Isawiyya-Gruppe, oder eines Rudels, oder wie man so etwas nennt. Wieso? Warum hat man sie nicht aus der Stadt geschmuggelt, wie die W das immer wieder mit Menschen gemacht haben, damit sie nicht im Weg waren beim Guerillakrieg, den die Isawiyya von Anfang an gegen die Untoten führten?
    Die Antwort ist simpel: Weil Aeryn Lay, Jims und Karins Tochter, Schimons und Johns Schwester, selber eine W ist. Kann ich sie sehen, frage ich. Ein nicht richtig nettes, sogar ziemlich ekliges, feiges Etwas in mir drin hofft fast, die Antwort möchte bitte Nein lauten.
    »Sí, está bien.«
    Aeryn ist schlank, fast dürr, flachbrüstig, knochig, trägt schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und total verdreckte, ehemals wohl weiße

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