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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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die meinen Namen trägt.«
    Rainer Utzer mochte nie und niemals glauben, daß es nur ihn und sonst niemanden störte, wie dem Führer da sein furchtbar langer Satz so völlig aus dem Ruder gelaufen war.
    Hat das denn niemand noch mal durchgelesen, bevor es den Kommenden übergeben wurde, hat niemand gemerkt, daß es unbedingt »der Leistungen« und »des Einsatzes« statt »den Leistungen« und »dem Einsatz« heißen mußte, so wie es zuvor ja auch ganz richtig »der unermesslichen Taten« und nicht etwa grundverkehrt »den unermesslichen Taten« hieß?
    Dieses läppisch Ungenaue, Verschmierte! Herrgott, dachte der Dokter, wie ihn das abstieß. »Götterdämmerung,« murmelte Utzer, »entschuldigt das jedenfalls nicht.«
    Als er die Bahnhofskneipe betrat, war’s darin dunkler als in jedem Hitlersatz. Umso strahlender freilich, fand Utzer, wirkte die Him melsbraut in diesem Dunkel, dort, bei der Musikbox, am groben Holztisch auf ebenso grobem Holzstuhl, eine Marlboro im Mund, das Gesicht blaß, aber die Wangen gerötet.
    Astrid Riedler hatte geweint, wollte aber bestimmt nicht, daß man sie darauf ansprach. Rainer Utzer, der sich wortlos zu ihr setzte, nahm an, daß es Tränen der Wut gewesen waren.
    »Kein Job?« fragte er ruhig.
    »Kein Job«, sagte Astrid trotzig, auch lauernd. Eine Kobra, freute sich Utzer, und begann lässig zu philosophieren: »Muß man sich mal vorstellen. Der eigene Vater. Kein Sippenbewußtsein. Aber eine Kurdin, die beschäftigt er, im Verkauf!«
    Mit größter Selbstverständlichkeit fischte der Dokter sich eine Zigarette aus Astrids auf dem Tisch liegenden Päckchen. »Red nicht so schlau daher, Dokter. Ich brauch’ Geld. Woher soll ich Geld kriegen, wenn mein Scheißvater mich nicht mal in seiner Drecksbäckerei einstellt? Nicht mal für kurz, paar Wochen, bis ich was anderes gefunden habe?«
    Utzer schüttelte den Kopf. Er nahm die Sonnenbrille an, sah Astrid direkt in die Augen: »Es ist eine Schande, ob man’s schlau ausdrückt oder nicht. Aber ich habe so was schon erwartet. Und ich denke, es gibt eine Lösung.«
    Astrid sog scharf und deutlich hörbar Luft durch die Nase ein, die eben Rauch in zwei weißen Wölkchen rausgeblasen hatte. Das sagte: Aha, eine Lösung, wie soll die denn aussehen?
    »Ich habe dran gedacht, Privatinitiative zu entwickeln, um die Verhältnisse zu beleben. Ordnung, zunächst zum Einführungspreis, also geschenkt, später vielleicht … gegen Gebühren.«
    Astrid hatte gut aufgepaßt und gab das nächste passende Stichwort: »Hä?«
    Wenigstens baut sie keine langen Sätze, die sie nicht überschauen kann, wie Herr Frey oder der Führer, dachte der Dokter vergnügt. »Mein Vorschlag ist simpel, einträglich und von wechselseitigem Nutzen. Paß auf …«
    2  Sehr ungern, und reichlich spät, nahm Philip Klatt Notiz von der ekelhaften Verlangsamung seiner Bewegungen – erst als um alle Bilder, die er sah, ein roter Blutrand gezogen war, als Tinte durch die Venen floß und noch ein paar andere Kleinigkeiten anfielen, die ihm unmiß­verständlich mitteilten, daß er jetzt wirklich dringend was zu trinken brauchte, schnellstens.
    Er lehnte an einem Brunnen, den man einem ehemaligen Bürgermeister zu Ehren aufgestellt hatte. Es war kein Wasser drin, seit Wochen, Monaten, Jahren wahrscheinlich. Der Standort des Brunnens, mitten auf einem kleinen Platz, markierte das Zentrum der Altstadt. Philip sah den Jugendtreff vor sich, dessen Geschäfte zu leiten er hergekommen war: das große Schaufenster – der Laden war einst eine Schneiderei gewesen –, dahinter die desolaten Regale mit zerlesenen Heftchen und verschrabbelten Büchern drin, ein Madonna-Poster, eine Che-Guevara-Fahne an der Wand, ungefüge zusammengesetzte Holzmöbel, dicke Kerzenstümpfe auf dem Tisch, Schmutz. Die Scheibe war halb blind.
    Philip erkannte sein Alleinsein wieder: So ist es mir hier früher oft gegangen, so habe ich mich immer wieder gefühlt, das habe ich hier gesucht. Spaziergänge im Halbdunkel, so etwa ab dem vierzehnten Lebensjahr, am liebsten im Winter oder Sommer, also zu den deutlicheren Jahreszeiten, morgens und abends, meist mit dem Walkman. Wie oft er, am Kanal entlangschlurfend im ersten Paar Turnschuhe, das er nicht nur zum Sportunterricht trug, sondern den ganzen Tag, Metallicas »Ride the Lightning« gehört hatte, besonders das lange Instrumental, »Call of Ktulu«, wie oft im Dunkeln, wie oft alleine …
    Wenn er den Job für Flaschs Treff tatsächlich anging,

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