Für immer in Honig
weiter hinten neben dem »Lexikon der antideutschen Fälschungen«, einem Werk über »Alliierten-Luftterror von Dresden bis Bagdad«, und einem bestimmt amtlich schmucken Bildband zur Feier des »Heilig Vaterland« eben auch ein Buch namens »Sprechen Sie Engleutsch?« anbot, das sich an Leute wandte, die »Sorge haben um die deutsche Sprache«?
Hat sich was, Sorge. Lern erst mal, was du da so großmäulig besorgst, Kamerad.
Die Jungs und Mädels, mit denen der Dokter arbeitete, akzeptierten den Eifer, mit dem er sich über solche Sachen aufregen konnte – konnte ist gut: Er mußte, es gab da gar keinen Spielraum.
Vielleicht sahen sie darin auch eine verzeihliche Schrulle – sein Bruder Klaus machte sich in seinen halbanalphabetischen Krakeleien aus dem Knast regelmäßig über Rainers sprachkritische Ermahnungen lustig, aber Klaus und sein Mithäftling Behnke waren genau die Sorte militanter Nationalisten, die irgendwann auf ihren jämmerlichen kleinen Heldentaten, Brandanschlägen und Saufgelagen ausrutschten und nie etwas Größeres zustandebringen würden, niemals Vorbilder sein konnten. Darum aber ging es: Jugendliche, und dann Kampfbereite jeden Alters, damit zu beeindrucken, daß man fähig war zur Übersicht, daß man seine Zunge, seine Fäuste und seinen Verstand selbst regierte, daß jede Tat eine Äußerung des Willens war …
Utzer spürte, wie ihm der Unterkiefer weh tat, so fest biß er die Zähne zusammen, während er sich diese Sachen im Kopf zurechtzulegen versuchte. Sprachschlamperei war ein Symptom der Verzweiflung, Verluderung. Als er mit seinen Erwägungen an diesem Punkt angelangt war, fielen ihm von ganz allein andere Grammatik-, Idiomatik- und Interpunktionsfehler ein, die ihn seit Jahren beschäftigten, vor allem, weil sie nicht irgendwo standen, sondern im Testament des Führers.
Nie konnte der Dokter sich entscheiden: War durch die Schnitzer dargetan, wie sehr der Führer, als er dieses Dokument verfasst hatte, bereits ermattet und geschlagen war – eine fürchterliche Vorstellung –, oder zeigten sie wirklich – entsetzlicher Verdacht –, daß dieses ganze Schriftstück nur in einer gefälschten, womöglich vom internationalen Judentum entstellten Fassung auf die Nachwelt gekommen war?
Immer wieder legte sich Utzer, der den gesamten Text des Testaments auswendig konnte, diese Sätze und Satzfragmente als Beweismittel selbst vor: »Sie gaben mir die Kraft, schwerste Entschlüsse zu fassen, wie sie bisher noch keinem Sterblichen gestellt worden sind.« Wie bitte? Entschlüsse, die jemandem gestellt werden? Werden nicht eher Aufgaben gestellt, Entschlüsse getroffen? Werden nicht allenfalls Menschen vor Entschlüsse gestellt?
Und dann die Sache mit den beiden sinnlosen Kommas. Grenzenlos lästig! Erste Stelle: »Es werden Jahrhunderte vergehen, aber aus den Ruinen unserer Städte und Kunstdenkmäler wird sich der Haß gegen das, letzten Endes verantwortliche Volk immer wieder erneuern, dem wir das alles zu verdanken haben: dem internationalen Judentum und seinen Helfern!« Was um Himmels Willen sollte dieses blöde Komma zwischen »das« und »letzten Endes«? Von der Peinlichkeit dieses Ausdrucks ganz abgesehen, der eine gedankenlose, völlig verkehrte, aber wohl nicht auszurottende Phrase darstellte: Natürlich war das Ende ein letztes, ja das schlechthin Letzte – das vorletzte Ende wäre pure Idiotie.
Der zweite Kommafehler war strukturell mit dem ersten identisch und legte deshalb leider nahe, daß der Führer – oder sein unrechtmäßiger Bearbeiter? – wirklich nicht wußte, daß man Kommata nicht mit dem Salzstreuer über Texte verteilen darf. Wieder geschah das Unglück in einem Satz, in dem das internationale Judentum prominent vorkam: »Es wurde nur verworfen, weil die maßgebenden Kreise der englischen Politik den Krieg wünschten, teils der erhofften Geschäfte wegen, teils getrieben durch eine, vom internationalen Judentum veranstaltete Propaganda.«
Das Komma zwischen »eine« und »vom« hätte der Teufel holen mögen, soweit Rainer Utzer mitreden durfte. Der Gipfel der Sprachferkelei jedoch wurde in einem Satz erklommen, der weiter hinten stand und dessen Pathos sich ansonsten sehen lassen konnte: »Ich sterbe mit freudigem Herzen angesichts der mir bewußten unermeßlichen Taten und Leistungen unserer Soldaten an der Front, unserer Frauen zuhause, den Leistungen unserer Bauern und Arbeiter und dem in der Geschichte einmaligen Einsatz unserer Jugend,
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