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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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seinem Knebel, der aus einem alten, fettigen, dreckigen, in Streifen gerissenen Geschirrtuch bestand, gurgelte es kläglich, aus rauhem Hals. Hat wohl schon einiges zusammengeschrien heute.
    Die Einrichtung sah funktional aus, zweckdienlich bunkerkarg: die Deckenlampen, ein Tisch mit Werkzeug drauf, ein zweiter Tisch mit irgendwelchem medialen Material – Heftchen, Videos –, dazu ein Fernsehkasten, drunter ein Videorecorder, beides auf einem Ikea-Rollpodest, daneben, zwischen Instrumententisch und Glotze, stand der Stuhl, an den man den Gefangenen gefesselt hatte. Astrid schaute sich den jetzt genauer an und fand, daß er wirklich sehr schlecht ausschaute: Die schuh- und sockenlosen Füße bluteten an den Fersen und in den Nagelbetten zweier Zehen, wo Bernds pickliger Famulus, der jetzt mit einem Lumpen seine Zange putzte, ihm zwei Fußnägel ausgerissen hatte.
    Die hellen Jeans waren burgunderfleckig, das ärmellose weiße Herrenunterhemd an mehreren Stellen zerrissen. Die blutigen Schnittwunden darunter schienen eben in Gerinnung begriffen. Ein schwerer Arbeitstag also.
    Astrid schätzte den Mann auf Anfang vierzig. Seine gelbblonden Haare stachen schweißverklebt in alle Richtungen ab, die Unterlippe war angeschwollen und geplatzt, das rechte Auge eine aufgepumpte, fest verschlossene lila Blase, die Wange darunter ein blauroter Fleck, Schürfwunden an den Schläfen glitzerten feucht. Die Nase sah gebrochen aus, zweimal womöglich.
    Die Instrumente auf dem Werkzeugtisch – mehrere kleine Hämmer, verschiedene Messer, Schraubenzieher, Feuerzeug, seltsame Sägen und ein stachliges kleines Dosenöffnerchen – lagen auf sauberen, grünen Stofflappen.
    »Warum wird die arme Sau gefoltert?« fragte Astrid vergleichsweise teilnahmslos und schlenzte ruhig zu dem Tischchen hinüber, auf dem die bunten Heftchen und Videohüllen lagen. Sie vermutete, es handle sich dabei um Propagandakram, und war ein bißchen neugierig, ob das wohl härteres Zeug war als das, was sie kannte.
    »Pfff. Folter, ach was«, winkte Utzer lässig ab.
    »Zu hartes Wort?« fragte Astrid provokant.
    Der Dokter griente: »Nein, wir sind ja unter Kameraden, hier wird schon …«
    »Tacheles«, warf der picklige Schlachtergehilfe ein, während der Gequälte mit den Beinen zuckte, reflexhaft, wie ein halbtoter Fisch an Land sich krümmt.
    »Danke, Schorsch«, sagte Utzer lächelnd. »Jawoll, wir reden Klartext miteinander. Aber Folter? Da muß man auf die genaue Wortbedeutung achten. Ich bin vielleicht Antisemit, aber bestimmt kein Antisemantiker.« Er beschmunzelte sein Wortspiel, räusperte sich und fuhr fort: »Die korrekte Wortbedeutung von ›Folter‹ ist ja: Zufügung oder Androhung körperlichen Ungemachs zur Erzwingung von Geständnissen. Darum, Astrid, handelt es sich hier mitnichten. Wir brauchen kein Geständnis mehr von dieser Ratte. Wir möchten, daß sie die Schnauze hält, deshalb der Knebel, siehst du?«
    »Und was hat er angestellt?«
    »Du stehst direkt davor«, bemerkte der Dokter.
    Astrid blickte hinunter auf das auf dem weißlackierten Tisch ausgebreitete Material.
    Nicht, daß sie schwer erschrocken wäre, aber ihre Erwartung, druckfrische Exemplare von »Mein Kampf« oder Broschüren über die ­Au­schwitz­lüge vor sich liegen zu sehen, erfüllte sich nicht. Stattdessen sah sie: DIN-A5 - bis DIN-A4 -Heftchen und Broschurbändchen, Videokassettenhüllen und kleine Büchlein mit Titeln wie »Nympho Lovers«, »Sweet Susi« und »Russian Lolita«, das meiste aufgemacht mit Photos, aber auch – teils albern übertriebenen – Zeichnungen, auf denen sechs- bis elfjährigen Mädchen von sehr viel älteren Jungs, manchmal Männern, allerlei Zeug in verschiedenste Körperöffnungen gesteckt wurde, teils aus Plastik, teils Obst, teils Finger oder Zungen, das eine oder andere männliche Geschlechtsteil.
    Die Mädchen, europäisch, asiatisch, viele vermutlich aus Osteuropa, wirkten größtenteils, soweit man ihre Gesichter sah, apathisch bis katatonisch, standen vielleicht unter Drogen. Nur wenige, lustigerweise vor allem auf den nichtphotographischen, nichtdokumentarischen Abbildungen, sahen aus, als wäre bei all dem etwas wie Angst und Entsetzen im Spiel. Da Astrid nicht wußte, welche Reaktion von ihr er wartet wurde, blätterte sie unentschlossen in den Magazinen und Broschüren – zwei waren offenbar Kataloge für Videos mit detaillierten Textkästen neben den Bildern, in denen Zusammenfassungen des Kassetteninhalts mit

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