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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gehörten. Sie waren dort zusammen reiten gegangen, südlich einer karamellbraunen Zeltstadt, an dem Tag, als Cordula Späths letztes Programm sich erfüllte, deshalb erfuhren sie erst sechs Minuten nach dem SHARP -Geschoß­einschlag in der Stadt, in der sie ihre kranke Mutter für einen Tag, einen einzigen Tag, nur dieses eine einzige Mal allein gelassen hatten, daß sie die traurige Karin Lay, die sie beide geboren hatte, nicht mehr wiedersehen würden.
    Karin war schon wach gewesen, hatte auf dem Balkon gestanden wie an dem Morgen, an dem Robert Rolf mit nur einem Koffer, aber ohne Schriftzeichen im Gesicht das Land verlassen hatte, und sah das Projektil auf die Stadt fallen, das Licht, alles, den heiligen Friedensbringer, das Symbol der Ruhe, Anzeichen der Tatsache, daß auch sie sich endlich ausruhen durfte, daß die Reise vorbei war, und sagte: »Wahnsinn!«
    24  Erbrechen beim Laufen war schlimm, daß die Finger zusammengebacken an den Händen wie Flossen klebten, war schlimmer, in die leeren Augenhöhlen der andern schauen, wo Flüssigkeit aus den Augen getreten, geschmolzen war, die jetzt klebte auf den Wangen, rechts und links der geschwollenen Wunden, wo die Münder gewesen waren, das Schlimmste. Wartet aber ab! Es ist leicht, das Richtige zu wissen fern vom Schuß, wenn man Monate Zeit hat, aber wir hatten fünf Minuten Zeit und dachten nach vor den Gewehrläufen. Seelen in Suspension. Strahlenopfer lebten noch nach Wochen. Die Sachen zu ändern ging nur mit Hilfe der Gewehre und der Projektile.
    Auf meinen Befehl: Befestigt die Bajonette!
    Blutunterlaufene Haut, Haar fiel aus. 28 Millionen Tote in anderthalb Stunden: ein begrenzter Krieg, ein kleiner Krieg. Später Fieber, Brechreiz, Durchfall. Nur mit Hilfe der Gewehre. Herbst der Welt brannte: Was man »Moderne« genannt hatte, gliederte sich in eine kurze Antike namens neunzehntes Jahrhundert, eine noch kürzere verwirrte und fanatische Spätantike namens frühes zwanzigstes Jahrhundert und ein finsteres Mittelalter, das im späten zwanzigsten Jahrhundert begann und lange gedauert hätte, wenn nicht geschehen wäre, was doch geschah. Bernsteinik hatte sich gefüllt, mit dem vollendeten Moment. Le temps des tâches pour moi est révolu.
    25  révolu révolu révolu

Zwanzigste Minidisc-Aufnahme
    J: Nicht Cordula … Candela!
    F: Tschuldigung, wenn ich mir das nicht alles gleich merke. Diese ganzen Namen – ein Personal, das in die Tausende geht, wie bei Homer, in der Ilias, diese ganzen Helden, Troer, Achaer, Ajax und Ariel und Meister Proper …
    J: Candela war das Mädchen in der Stadt, und Cordula ist eine andere Version derselben W, aus einer anderen Welt. Einer anderen Wirklichkeit, in der Svenja und Katja Benante am Leben geblieben sind. Cordula ist die Musikantin, gehörte zu den wichtigsten Gippiekadern, Candela war bloß eine von den Leuten, die uns beim Flugblattverteilen geholfen haben.
    F: Wer war noch mal Katja … Benante?
    J: Ihre Freundin.
    F: Die waren befreundet.
    J: Girlfriends, actually. Lovers. Lesbian, gaytype lovers.
    F: O.k. Und Katja …
    J: Katja kannte ich. Die war immer superlustig, so ein Irrwisch mit braunen wolligen Haaren, haselnußfarbenen Augen, Sommersprossen auch. Sprang einen immer gleich an, wenn man sich eine Weile nicht gesehen hatte. Ihr Bruder dagegen, unangenehme Type, der hat …
    F: Bitte nicht noch mehr Characters, ja?
    J: Schon recht. Also, Katja war immer in Bewegung, auf Festchen hat sie die ganze Nacht getanzt, die Farbe von den Wänden geschüttelt, verstehst du? Jeden Tag: Mach es neu, alles ist ein Wunder, alles ist geil. Katja ist manchmal mit mir Duplo kaufen gegangen, beim Hausmeister, in den Pausen, wir haben dann fünf, sechs von den Dingern gekauft und uns in die Münder gesteckt wie Zigarren. Sie gehörte gar nicht zum engeren Kreis, hat sich auch nicht richtig für Politik interessiert, aber mit Christine – der Tennisplatzschlüsselbesitzerin – hing sie rum, da gab es dann noch ein paar Jungs, in deren Klasse, einen äh Christian und einen Dietmar. Katja war auch ein-, zweimal beim Tennis dabei. Hat dann Biologie studiert, in Freiburg, und irgendwann bei einem Klassentreffen in Maulburg – das ist ein Städtchen in der Nähe von unserm Kaff – schleppte sie also Cordula an, von der wir schon einiges gehört hatten, wir GPI -Youngster, auch bißchen was gelesen, im Zirkular, der Gippie-Zeitschrift, außerdem war sie ja Künstlerin, hat Musik gemacht, elektronisches

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