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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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besser als passabel« fand. Andy war jedenfalls froh, daß er jetzt selber kochte und sich von der Haushälterin, die ihm die Stadt hatte aufdrängen wollen, vor zwei Wochen endlich befreit hatte. Nach einer kleinen Weile überwand er seine Verärgerung und redete mit ihr wieder über die Sorte Dinge, über die sie am liebsten miteinander redeten: den neusten Streit unter den Biologen über adaptive Komplexität, das Wetter, das jüngste populärwissenschaftliche Werk des Geologen Staudt – »Ich hab’ ihn damals auf der Reunification Party reden hören, wegen der Antarktisscheiße, der hat’s damals schon kommen sehen, lange bevor wir unsere Küsten verloren haben« – und die neue Mode unter den führenden Lebenswissenschaftlern der Welt, den Chinesen: »Die haben die alten Gould-Theorien, von wegen punktiertes Gleichgewicht, zur neuen Orthodoxie hochgeschrieben, das ist schon beeindruckend – Paradigmenwechsel, hätte man früher gesagt«, meinte Tamara, die gern mal ein bißchen nostalgisch postmodern daherredete, schon weil sie die fragliche Zeit selber nicht erlebt hatte.
    »Ich weiß«, schnaubte Andreas gutmütig und nippte an Tamaras herbem Wein, »das hört man jetzt gern: Funktionalismus ist nicht alles, Exaptionen sind seltener, aber nicht unwichtiger als Adaptionen. Staudt schreibt immer noch pro Darwin: Organismen sind der Locus der Selektion und sollten es auch für Genetiker sein, aber die Chinesen kommen dann mit ihren Fossilien und so fort.«
    »Fossilien«, sagte Tamara und schaute ihm direkt in die Augen. »Wie du.«
    »Wie alles, was aus meiner Zeit stammt, ja. Die Brennstoffe zum Beispiel, mit denen damals alles lief – eine solare und Wind-Welt, das war uns undenkbar.«
    »Waren denn die W eine neue Spezies?« provozierte sie ihn, damit er nicht in seine trübe Stimmung absackte, und er brauste dankbar auf: »Was weiß denn ich! Und was heißt ›waren‹? Die richtige Theorie darüber, was die W waren und sind, die Theorie, mit der sich die Menschen anfreunden werden, wird ja wohl ihrer Praxis folgen. Wir machen unsere Evolution jetzt selber, also wer kann’s wissen?«
    Sie aßen schweigend, nicht feindselig, bis sie fertig waren.
    Dann setzten sie sich vor den Fernseher und sahen, im Nachrichtenfenster, Cordula Späth erst ihre seltsame letzte Erklärung vor Gericht abgeben und dann wieder ein paar Minuten Amateurfilm aus dem Gefängnis, als eine Art Fußnote oder Glosse zum Verlesen des Mao-Zitats: »Ach ja, der Fortschritt. Vielleicht muß man alles viel enger sehen: Wäre die Geschichte der Russischen Revolution zu einem so schmachvollen, winselnden Ende gelangt, wenn niemand die Atombombe erfunden hätte? Ohne nukleares Patt, meine ich – denn haben nicht das Wettrüsten und die Möglichkeit, daß die ganze Erde verheert wird, den nötigen Weltbürgerkrieg arretiert? Solche Gedanken haben wir uns jedenfalls gemacht, in der GPI , nicht der erfolgreichen Kopie, initiiert von Jenny Brunner, Prashad, den Afrikanern und meinem miß­ratenen Sohn, sondern beim Original. Am Ende, so circa Mitte der Neunziger, und als dann die W auftauchten – schon kurz vor dem Totentanz, da fiel mir als erster Person im ZK auf … Tja, ich habe eben darauf geachtet, ich war immer aus Magie gestrickt, ich war äh rezeptiv für so was, sensitiv, habe es ge rochen – also, da wußte ich, daß vielleicht auch der ›subjektive Faktor‹, den Marx kannte, von der … technischen … Entwicklung überholt war. Also alles anders, dachte ich, alles neu, und nicht den Fehler machen, oder nicht in das Pech reingeraten, das die Bolschewiki die Existenz gekostet hat: daß da einfach was Neues erfunden wird, was die nötige Eskalation verhindert, in deren Verlauf darwinistisch geklärt worden wäre, wie die Menschen eigentlich leben wollen. Ich dachte mir also: Wer braucht die überhaupt, diese einfältigen Menschen, wenn es jetzt die W gibt? Daß das damit endet, daß mir meine eigene Tochter einen Dolchstoß in den Rücken versetzt, ich meine buchstäblich … wer konnte es ahnen?«
    Andy schaltete ab.
    »Beeindruckende Frau«, sagte Tamara vorsichtig.
    »Klar«, lachte Andy grimmig.
    »Küssen wir uns jetzt?« fragte Tamara, frecher als bisher. Er sah ein, daß das nötig war, und sie küßten einander.
    4  Andreas stand früh auf und leise. Er ließ Tamara schlafen, sah ihr, als er sich ankleidete, sogar gern dabei zu, wie sie schlief, dachte nicht viel währenddessen. Das Zimmer war nicht sehr hell, die

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