Für immer in Honig
Limo.«
»Rohypnol«, sagte Cordula.
»Ja, oder eine andere Date-Rape-Droge. Sie hat’s schlechter vertragen als andere, ihr war wohl auch vorher schon mal bei Betäubung, im Krankenhaus, übel geworden. Die Freunde haben sie nach Hause gefahren, die Taubheit der Extremitäten ließ nach. Am nächsten Tag ist sie nicht zur Arbeit, die Hände haben zwei Tage nicht aufgehört zu kribbeln, aber das war alles, und ich nehme an, jetzt willst du wissen, warum diese Geschichte das Scheußlichste war, was mir in meiner Praxis begegnet ist, so scheußlich, daß ich angefangen habe, mich obsessiv mit Date Rape zu befassen, daß ich eine Broschüre geschrieben habe, daß ich Schulen besucht habe und jahrelang mit Aufklärungsarbeit zu tun hatte, laßt eure Drinks nie stehen, tauscht keine Drinks mit andern, trinkt aus Flaschen oder Dosen, merkt euch die 24-hour-Date-Rape-Helpline …«
Cordula sagte gar nichts, die Psychologin hörte mitten im Satz auf und schaute die Verurteilte teils feindselig, teils verwirrt an.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich versteh’s. Das Schlimme an der Geschichte war, daß das Mädchen überhaupt kein Interesse daran hatte, rauszufinden, wer ihr das angetan hatte, obwohl es allzuviele Verdächtige ja nicht gab – sie hat’s nicht weiterverfolgt, sie hat’s behandelt wie ein Naturereignis, weil sie der Meinung war, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Immerhin wurde sie ja nicht vergewaltigt oder umgebracht oder beides.«
»Ich wollte einfach nicht glauben … und will es immer noch nicht … daß es Menschen gibt, die zwar leiden können, aber überhaupt kein … Empfinden dafür haben, daß ihnen kein Unglück passiert ist, sondern …«
»Sondern ein Unrecht«, sagte die Verurteilte und sah plötzlich sehr müde aus.
6 Nachts blieb das Licht bis ein Uhr an, das gehörte zu den Privilegien dieser besonderen Gefangenen.
So las sie an dem Abend nach Johanna Rauchs emotional anstrengender Erzählung noch drei Stunden in Norman Mailers »Executioner’s Song« und murmelte dabei ein bißchen was für die Gefängnisleitung, die sie, wie sie wußte, unausgesetzt belauschte. »Der war ja nun auch auf Jennifers und Philips Seite … Aber schöne Prosa ist das, hier, diese Stelle über Nicole, die Liebe des am Ende halt doch Hingerichteten, im Irrenhaus am Tag der Vollstreckung, hört euch das an: › Nicole had found out that Gary was going to be executed today, but she had no idea of the time. In the morning, walking back from the ward dining room, she suddenly felt a great need to lie down on her bed. They started making a big thing of it, but she just walked toward her room. Nobody said anything more. Then she lay there, and tried to think about Gary. For days she had been dreaming of the moment he was shot and falling back. She always saw Gary standing up when he got it. Now, in her mind, she saw nothing but those red blocks they gave the patients to put together into a cube.‹«
Was sie den Lauschern nicht mitteilte, war, daß sie beim Lesen und mehr noch beim Vorlesen dachte: Wenn Katja noch leben würde, hätte ich jemanden, der auch an meine Hinrichtung denkt, aber dann würde ich andererseits wahrscheinlich gar nicht hingerichtet, also was soll’s.
ZWEIUNDSECHZIGSTES KAPITEL
Die amerikanische Angelegenheit • Kein Grund zur Panik • Hallo. Wie geht’s? • Text • Vollstreckungslogik • Zeit: Was ist das? • Operative Schließung • Individuals • Ringe • Letztkontakt • Tiere • Auskunft • Hilfe • Lena • Tierfabel • Auf Wiedersehen
1 »My, you’re big, Mister!« hatte der kleine Junge in der Schlange bei der Ankunft in New York gesagt. Das war Andy tröstlich vorgekommen, hatte ihn erreicht, wo die aufrichtigen, aber witzlosen Schmeicheleien der Provinzkader in Sonnenthal wirkungslos geblieben waren. Die ganze Taxifahrt zum Hotel über kam er nicht drauf, wieso das half, dieser Respekt des wildfremden Kindes, obwohl der Grund wirklich sehr einfach war.
Später stand er am Times Square unter einem gewaltigen Schirm und überlegte, ob er Tamara anrufen sollte, oder David, oder Skriba, der, wie David noch vor der Abreise erfahren hatte, nun endlich im Sterben lag, um ihn zu fragen, wie er mit Aeryn umgehen sollte, wenn sie in wenigen Tagen hier eintraf, um der Urteilsvollstreckung beizuwohnen: Sah sie ihn als Verwandten der Verurteilten, als eins ihrer Opfer, als Unterstützer ihrer Taten? Was war diese W, als Kulturminister im
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