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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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vergangen, Sie sind nicht überwunden, Sie sind nicht historisch gegenstandslos. Deshalb wird dieser Prozeß alle Zweifel darüber ausräumen, was mit Ihnen zu geschehen hat.«
    Dieser Absichtserklärung wurde, könnte man sagen, ohne Abstriche stattgegeben: Das erwartbare Urteil wurde gesprochen. Als man die Angeklagte abschließend fragte, ob sie noch etwas zu sagen hätte, zog sie ein sauber zusammengefaltetes Papier aus der Brusttasche ihres makellos weißen italienischen Herrenhemds, stand auf und sagte: »Ich möchte Ihnen allen – den Revolutionären, den Nutznießern und den noch lebenden, noch tätigen oder resignierten Verlierern der Revolution, den Nachkommen der ursprünglichen Nutznießer und Verlierer, eben allen, die meine Stimme hören wollen, etwas vorlesen, das ein Revolutionär vor rund hundert Jahren, am sechsten November Neunzehnhundertachtunddreißig, mitten in einer Epoche, die auch ihr Teil an Toten und Gequälten gesehen hat, vor seinen Leuten freimütig erklärt hat. Er stammte aus dem Land, Staatsanwältin Lee, aus dem auch Ihre Großeltern nach Amerika ausgewandert sind. Sein Name war Mao Tsetung und seine Worte lauten: ›Vom Standpunkt der marxistischen Lehre vom Staat ist die Armee die Hauptkomponente der Staatsmacht. Wer die Staatsmacht ergreifen und behalten will, der muß eine starke Armee haben. Manche Leute bezeichnen uns höhnisch als Anhänger der Theorie von der Allmacht des Krieges. Jawohl, wir sind Anhänger der Theorie von der Allmacht des revolutionären Krieges, und das ist nicht schlecht, sondern gut, das ist marxistisch. Die Gewehre der Kommunistischen Partei Rußlands haben den Sozialismus geschaffen. Wir wollen eine demokratische Republik schaffen. Die Erfahrungen des Klas senkampfes im Zeitalter des Imperialismus lehren uns: Die Arbeiterklasse und die übrigen werktätigen Massen können nur mit der Macht der Gewehre die bewaffneten Bourgeois und Grundherren besiegen; in diesem Sinne können wir sagen, daß die ganze Welt nur mit Hilfe der Gewehre umgestaltet werden kann.‹ Soweit Herr Mao. Zum Schluß möchte ich mich bei allen, die diesen Prozeß vorbereitet, möglich gemacht und durchgeführt haben, für ihren Fleiß und ihre Fairneß bedanken, einen Gruß an die Überlebenden aus meiner alten Pfauengruppe senden, wo immer der Wind sie hingeweht hat: Ich bin sicher, ihr wollt diesen Teil eures Lebens vergessen, und erinnere mich daran, daß ich euch o ffizi ell entlassen habe, aber solange ich lebe, werde ich mich dankbar an euch erinnern. You’re my girls – ich bin stolz auf euch, ihr solltet es auch sein. Um Verzeihung bitten möchte ich an diesem Punkt niemanden, hauptsächlich deshalb, weil ich der Meinung bin, daß jemand, der Angehörige, Gesundheit und / oder Lebensaussichten aufgrund meiner Handlungen verloren hat, sich so etwas von mir nicht anhören muß – würde ich mich hier entschuldigen, und es spränge so jemand da drüben im Publikum auf und liefe zu mir und schlüge mich mit einem Hammer tot, ich wäre der Meinung, diese Person hätte aufgrund des dann gegebenen psychischen Ausnahmezustands einen erstklassigen Freispruch verdient. Anders als ich, Sie verstehen. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
    Es war ziemlich still im Gerichtssaal, als sie sich wieder setzte, und der Vorsitzende Madison sah sie lange schweigend an, bevor er sich räusperte und die restlichen Formalitäten ins Mikrophon sprach.
    2  Der neue Staat war mit den in seinem Machtbereich noch ­fort­exis­tierenden Kirchen nicht besonders eng verflochten. Dennoch bot man der Verurteilten aus Tradition und Großmut geistlichen Beistand an, falls sie darauf Wert legte. Cordula Späth antwortete gefaßt: »Priester oder Priesterin – das muß nicht sein, aber vielleicht eine Psychologin? Ich würde gern noch so ein paar Sachen durchsprechen, nichts Dramatisches, keine vollständige Analyse oder so, nur ein bißchen reden. Wäre nett, wenn sie lesbisch wär’, die versteht mich dann ein bißchen besser, nehme ich an. Ach, und, äh: Bitte keine Jungianerinnen. Selbst mich graust’s noch vor manchem.«
    Eine Frau zu finden, die das Anforderungsprofil erfüllte, war leichter, als die Vollstreckungsbeamten gedacht hatten – entgegen der Vermutung, daß sich einfach niemand bereit erklären würde, die heikle Aufgabe zu übernehmen, mußte man mehrere Tage gewissenhaft die jenigen Bewerberinnen aussortieren, deren Interessen, wie Cordula selbst es mit charakteristischer Direktheit

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