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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Rolläden schlossen schön dicht. Er betrat den Flur, dort grellte alles gleißend gelb, Staub tanzte golden in der warmen Luft, die in träge sich ausbreitenden Wellen von der Kachelofenwand abgestrahlt wurde.
    Barfuß und vorsichtig ging er die leise knarrende Treppe zum Dachboden hoch und dachte mit Blick auf die strahlende Sonne im Dachfenster an etwas, das er in einem von Cordulas aufgehobenen Büchern gelesen hatte, von einem Dichter namens Peter Hacks, über einen Mann namens Alfred Kurella, der etwas Tiefsinniges festgestellt hatte, übers Verhältnis zwischen der Erde, die Licht und Wärme brauchte, und der Sonne, die beides schenkte, und wie das alles in der Sprache vorkam, die der Mensch redete: Seit Kepler, so Kurella, so Hacks, wisse die Menschheit, so Kurella, so Hacks, daß der Mythos, demzufolge die Sonne aus dem morgenländischen Ozean sich erhebe, unwahr sei; tat­sächlich stünde die Sonne still, und die Erde drehe sich unter ihr weg. Dennoch werde die Kunst und die Alltagsrede niemals – Hacks legte Wert darauf, daß Kurella das Wort »niemals« gebraucht habe – vorbringen: In östlicher Richtung drehte sich die Erde unter der Sonne weg; sondern sie werde stets das Auge sprechen lassen, nicht das Hirn, und immer sagen: Im Osten ging die Sonne auf.
    Andy kniete im Morgenlicht vor dem alten Koffer, klappte ihn auf, holte das schwere Lederlappen-Bündel raus, faltete es auseinander.
    Betrachtete die Messer.
    Ein Rest Magie war trotz der Revolution, trotz dem neuen Weltbild, der staatlichen Versorgung aller Kranken mit vernünftiger Medizin, trotz dem Bruch des Banns über die Verhexten immer noch in der Welt, und würde wohl erst mit ihm und denen, die gesehen hatten, was er gesehen hatte, aus ihr verschwinden.
    Er holte die Messer nur selten aus ihrem verschrabbelten Sarg. Heute morgen betrachtete er sie, weil er wußte, daß er das jetzt, da Tamara zu ihm gekommen war, lange nicht mehr tun würde. In den Spiegelflächen sah er Valeries Gesicht: die Liebe seines Lebens.
    Es schaute ernst drein, redete nicht, blickte ihn nur an, wie er es ansah: still und in Frieden.
    Nicht Julia, nicht Hillary: die Schwester. Komisch. Wo die Liebe hinsäbelt.
    Was, wenn’s ein Spiegel war, und das da nicht sie, sondern er selber? Oder ein Fenster?
    Er packte die Messer zusammen, verstaute sie, schob den Koffer in die dunkle Ecke unterm schwarzen Ende des längs verlaufenden Dachbalkens. Dann stand er da, im Strömen von Wärme unterm Fenster, vor einem Regal mit Restbeständen aus Cordulas alter Bibliothek, die er mit sich um die halbe Welt getragen hatte. Eine vergilbte Zeitschrift lag obenauf, er nahm sie in die Hand und verließ den Dachboden. Unten am Treppenabsatz saß Tamara und rauchte, lächelte ihn an, schwieg.
    Er setzte sich, ebenfalls schweigend, zu ihr, blätterte mit der Metallhand in der Zeitschrift, bis er gefunden hatte, was er suchte, räusperte sich und sagte: »Als die Sache von 1917 endgültig den Bach runter war, Anfang der Neunziger, sah es so aus, als würde es so bald keine Revolution mehr geben – da hat einer das hier geschrieben, über die neue Botschaft, die er aus all dem zog: ›Es war einmal, daß die – richtige oder falsche – Idee die Massen ergreifen und begeistern mußte, um selber zur materiellen Gewalt zu werden wie 1789 oder 1917. Im Atomzeitalter, heißt die Botschaft, kommt die Geschichte ohne Ideen und ohne Massen aus – noch nie waren die Menschen so überflüssig. Kein Wunder daher, daß manche zum Islam, der Religion des Fatalismus, konvertieren, und viele etwas trübsinnig werden.‹ Das Verrückte ist, die Revolution kam doch, und trotzdem fühle ich mich, als hätte mir das immer noch was zu sagen – etwas trübsinnig, du verstehst.«
    Sie rückte näher, legte den Kopf an seine Schulter und sagte: »Ich seh’ die Welt überhaupt nicht so. Ich fange gerade erst an zu leben. Zusammen mit der Revolution – ich bin vierzig, weißt du, fühle mich aber wie eine Mittzwanzigerin, weil es so viel zu tun gibt, nicht nur hier am Ort.«
    Der Heimkehrer lachte leise und rauh: »Deshalb mag ich dich, deshalb hab ich dich gern um mich. Du machst mich jünger.«
    »Du tust so, als stündest du mit einem Bein im Grab.«
    »Mit einem Bein im Grab stand ich immer. Das Entscheidende ist: Ich habe vergessen, wo das andere Bein stehen soll.« Sie stand auf, lehnte sich an die Wand unters Bild von Valerie und David, aufgenommen vor zwanzig Jahren in der Nähe von Rom, und

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