Für immer in Honig
formulierte, »vielleicht nicht ganz astrein« waren: »Promigeile, Neurotische, Karrieristinnen, zukünftige Buchautorinnen und so weiter.« Man beteiligte die Verurteilte aus praktischen Erwägungen und nach gewissenhaftem Sicherheitscheck aller verbleibenden Kandidatinnen – eine ehemalige Pfauenagentin zu ihr vorzulassen, wäre sehr peinlich gewesen – schließlich selbst an der »Endauswahl« (Späth). So kam eine bereits kurz vor dem Rentenalter stehende, aus Deutschland eingewanderte Analytikerin aus Boston namens Johanna Rauch zu dem Job. Sie sprach fließend Deutsch, ein Bonus, fand die Verurteilte: »Die Muttersprache ist einfach nicht zu schlagen, was letzte Worte betrifft.«
Das erste, was die Verurteilte nach der Begrüßung in der luxuriösen Zelle – »mehr ’ne Suite, eigentlich« – zu ihrer neuen und voraussichtlich letzten Vertrauten sagte, war: »Könnten Sie vielleicht mal was für mich rauskriegen, sich eventuell erkundigen: Wie läuft das jetzt eigentlich im einzelnen, werde ich totgespritzt, komme ich auf den Stuhl, oder ins Gas, werde ich aufgehängt oder erschossen? Niemand scheint’s zu wissen, die Mädels, die mich hier bewachen, reden nicht mit mir, das hat was Anstrengendes, auf Dauer.«
Johanna Rauch lachte, und hörte kurz der Platte zu, die etwas leiser als auf Zimmerlautstärke lief, hinter der Glasscheibe:
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen …
Dann sagte die Therapeutin: »Geben Sie sich keine Mühe. Mich schockt man nicht so leicht.«
Cordula zwinkerte und erwiderte, gespielt schüchtern: »Sie sind dann also ganz hart drauf, ja?«
Johanna nickte: »Ich habe das wirklich Grausame erlebt, jahrelang – die Langeweile.«
»Nämlich?«
»Mädchen, die wissen wollten, wie sie ihre Prüfungsangst überwinden sollen, oder wie sie endlich einen Typ abkriegen, rechtzeitig zur Prom Night …«
»Das ist so was wie bei uns früher die Abifeier, ja?«
»Abifeier … das Wort habe ich auch mindestens dreißig Jahre nicht mehr gehört.«
»Lassen Sie mich mal testen, wie gut Sie sind in Mädchenproblemen, Frau Rauch.«
»Nur zu.«
»Was, glauben Sie, wollen Jungs und Männer wirklich? Ich hab’s nie rauskriegen können, aber es war bei mir ja auch nur ein akademisches Interesse, vielleicht muß man da mit dem Herzen dabei sein. Trotzdem: Was wollen die eigentlich?«
»Schön einen geblasen kriegen – das weiß ich nicht aus der Wissenschaft, das habe ich erst durch die Praxis erfahren.«
Cordula wieherte. Johanna Rauch hatte den Test bestanden und war nicht verklemmt genug, sich einzugestehen, daß das Wiehern, obwohl es eigentlich aufdringlich und uncharmant hätte wirken sollen, erstaunlich attraktiv war. Die Psychologin fand, daß es nun Zeit für sie wurde, selbst etwas zu fragen: »Sie hören viel Musik hier, hat man mir gesagt. Der alte Beruf, natürlich – nur Ernstes, nur Klassik?«
»Man kriegt wieder alles aus dem Netz, wußten Sie das? Nicht, daß man mir eine Verbindung … sie mußten es ja wieder aufbauen, das Netz. Zum zweiten Mal, das tut mir ehrlich leid, es gibt nichts so Ärgerliches wie eine fast fertige Arbeit, in die einem jemand wieder reinscheißt … Ich kriege hier keinen Rechner, keinen Netzanschluß, ist ja klar, die sind ja nicht von gestern. Also nur das Urälteste vom Uralten, CD s: Chopins Nocturnes von Barenboim, wunderbar läppische Handgelenksarbeit, fast so wurschtig wie Gould, dann Brendel mit den Klavierkonzerten, alte Philips-Aufnahme … Mußte ich immer dran denken, an Philips, die Plattenfirma, wenn ich mit Philip Klatt zu tun hatte, er möge ewig in der Hölle schmoren, dann können wir uns wenigstens bald unterhalten – na jedenfalls, es ist doch sehr ungewöhnlich, daß man da nur ein »l« drin hat im Namen … Philip, Philips. Ja, und die frühen Klaviersachen natürlich, die Pathétique vor allen anderen, Yoshiko Kojima am Fortepiano, ich habe das immer ganz ähnlich gespielt, vom Gestus her, nicht so gut natürlich. Ich war besser als Komponistin, glaube ich, nicht so gut als Interpretin, auch wenn sich niemand je beschwert hat. Na, und dann, wir hören es ja grad, die Symphonien – seid umschlungen, Idioten: der alte Dummkopf Karajan, herrlich, Deutsche Grammophon Gesellschaft, von 1963, da war ich noch gar nicht auf der Welt, kann man kaum glauben, alt wie die Berge.«
Mit diesen Worten stand Cordula Späth auf, ging zum CD -Player, beendete das Stück, holte die Platte
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