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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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vierten Kabinett Eisin eine der letzten prominenten Vertreterinnen ihrer Art, überhaupt für eine Person?
    Zum Glück hatte wenigstens ihr Bruder keine Zeit, Schimon Corbett. Den mochte Andy nämlich nicht, obwohl er ihm nie begegnet war. Bei seinen Zeugenaussagen in Sachen Robert Rolf und Philip Klatt hatte er im Fernsehen jedenfalls arrogant gewirkt, einsilbig bis zur Verstocktheit. Sogar eine Sonnenbrille hatte er beim ersten Auftritt getragen. Daß das Gericht nicht verlangt hatte, die abzunehmen, hatte Andy damals ganz krank gemacht. Jetzt ging er durch die Stadt spazieren, rauchte viel, las an den Wänden, was es, flüssig vergänglich, da zu lesen gab, und fand, wenn er sich irgendwo gespiegelt sah, my, daß er tatsächlich big war, Mister.
    Als es dunkel wurde, erschaute er oben über den vielen feierlich menschengemachten Lichtern der Stadt nur ein ganz mattes, stumpfes Schwarz, eher grau eigentlich, und keine Sterne. Andy betrank sich an der Hotelbar verheerend, schlug mit der Metallhand die gläserne Theke kaputt und mußte von drei starken Männern mit gutem Zureden und sanfter Gewalt auf sein Zimmer gebracht werden, wo er seine eigene Sonnenthaler Nummer wählte, aber nur einen Klingelton lang wartete, bevor er die Verbindungsanmeldung wieder unterbrach.
    Er fürchtete, Tamara könnte nicht da, vielleicht schon wieder ausgezogen sein, und wußte, daß er darauf angewiesen war, sich vorstellen zu können, daß sie auf ihn wartete, auf ein neues schönes Essen, Gespräche über Evolution und Revolution, Sex, Einanderfesthalten, wenn das hier, die amerikanische weltwichtige Angelegenheit, endlich erledigt war, dieser viel zu breite, viel zu tiefe Teil seines Lebens.
    Er schaltete das Radio ein und sofort wieder aus, sagte zum Lautsprecher: »Sie hat mir Musik beigebracht, Leute. Ich hatte keine Ahnung. John Zorn, die ›Cartoon S&M‹ mit den zwei ganz … ganz tollen Versionen von ›Kol Nidre‹ drauf, das hat sie später selber auch mal gespielt, mit zwei vom Mondriaan Quartett, die noch gelebt haben, in Nizza. Milton Babbitt, Elliott Carter, Reich, Riley, Adams … Ich kannte ja gar nichts. Das war moderne Klassik? Scheiße, das war doch genau richtig für so, für … für so nervöse Ritter wie uns, so eine dekadente … genau für die Aufmerksamkeitsspanne von Fernsehguckern und Rockmusikhörern gedacht, der Wahnsinnskitsch eigentlich, und … und bigger als alles dann Cage. Den hat sie mal getroffen, in Zürich, hat sie erzählt, er fand ihr Zeug gut, das war … kurz bevor er … Scheiße. Warum issie nich bei der Musik gebliehm? Warum hatsie unbendit… undeb… unbedingt die Welt gabutt … anstatt so schöne … so schöne Musik?«
    Die Minibar war lächerlich schlecht bestückt.
    Eine Zigarre wollte man ihm nicht bringen, auch nicht auf brüllwütendste Bestellung hin, wahrscheinlich, dachte er und sah, wütend zum Bersten, in den enormen Spiegel überm schwarzmarmornen Wasch becken, hatten sie Angst, daß er das ganze Hotel in Brand steckte, Arschlöcher, nichts hat sich geändert, Revolution, woher denn, Fotzen. »Alles … alles Fotzen. Außer Mutti. Besonders … Mutti. Am meisten!«
    Er ließ lauwarmes Badewasser ein, testete die Mischung von heiß und kalt mit der intakten Hand.
    »Das Problem ist«, sagte er, während das Wasser weiß und stark rauschte, zu sich im Spiegel, und hätte es lieber zu Valerie in der andern Welt hinter den Klingenflächen gesagt, aber die war weit weg, »daß ich nicht weiß, was ich ihr … erzählen soll, wenn sie mich fragt, wie ich so … lebe. Ich kann ihr schlecht vom Haus erzählen«, er meinte die glasierten Schindeln und den Weg aus Schieferplatten, die Treppe, den Dachboden.
    »Auch nichts … von den … Pseudoskorpionen, von den Stadtratssitzungen, bestimmt nichts von Tamara. Ich habe … nichts … nichts. Nichts zu sagen, und was sie zu sagen hat, das will ich … bestimmicht hören.«
    Andy schüttete aus der am Wannenrand bereitstehenden Plastikflasche honigfarbenes, nach fernem süddeutschem Wald duftendes Zeug ins Wasser, zog sich aus bis aufs Unterhemd, das er, besoffen wie er war, gar nicht bemerkte, setzte sich in die Wanne, stellte den Hahn ab und schlief sogleich ein.
    Nach drei Stunden erwachte er frierend und niesend, hustete laut und metallisch, stieg aus der Wanne, schlang sich ein Handtuch um den Leib, stolperte mit gesenktem Kopf, wie ein vom Torero angepiekster Stier, zum Bett, fiel drauf, heulte ein Weilchen und schlief dann

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