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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Familien, Blinde, Lahme, Dumme und Rezensenten verließen Colombo, Jerusalem oder Marseille, denn es wurde ihnen zu bunt mit all den vielen Leichen, die auf den Straßen nachts hin und her liefen, und von denen manche sagten, daß es Vorboten einer Armee wären, welche die Städte bald einnehmen würde.
    Die junge Fliehende ohne Namen hatte die weinende Frau gesehen.
    Ihre Großmutter hatte sie darauf vorbereitet: Bald wird man die weinende Frau sehen, in den Träumen, und dann fängt das Ende an. Das Mädchen nannte die weinende Frau, wie die Großmutter sie am Telefon genannt hatte: La Llorona. Die junge Frau hatte einen reinen, wunderschönen dunklen Teint; bei Karl May hätte sie wegen dessen Färbung und wegen ihrer Herkunft eine Mestizin geheißen.
    Sie verließ Las Vegas, weil sie die Stadt zwar einmal geliebt hatte, aber auch wußte, daß das keine Entschuldigung dafür sein konnte, ihr das eigene Schicksal auszuliefern. Sie wußte, daß das Leben in Las Vegas auch ohne sie weitergehen würde, weil es ja immer wieder neu geboren wurde, jede Nacht, auf den fröhlichen Neonstraßen. Ist mir doch egal, dachte sie, ich habe den größten Teil meiner jüngsten Pechsträhne in einem Army-Jeep verbracht, beim Vögeln mit einem der Soldaten, die hier hergeschickt worden sind, um die Fassaden zu schützen. Wovor?
    Davor, daß einer von den Kadavern seine Innereien dagegen schmeißt. Wieso habe ich hier so gelebt? Ich weiß nur, daß es anstrengend war, immer mit der Faust auf diesen blöden Fernseher zu hauen, und daß dann, wenn das Bild mal richtig tickte, in diesem Fernseher gezeigt wurde, daß dieselbe Scheiße in anderen großen Städten auch schon passierte. In Sacramento, Kalifornien, soll es angefangen haben.
    Ich spiele dieses Spiel nicht mehr, dachte sie, als sie dem Fahrer das Geld auf die Plastik-Auffangschale hinzählte, ich hab’ mir meine Chancen ausgerechnet, und die sind nicht richtig super. Also plaziere ich eine ganz neue Wette. Normalerweise schenk’ ich mir dann einen Drink ein, oder kriege einen eingeschenkt.
    Am geilsten war es im großen Salon, im Kostüm, grün angemalt, außerirdisch-dämonisch statt mestizisch-mexikanisch, als eine von den Mädels, die den Sänger einrahmen durften, »The Lornettes« haben sie uns genannt. Da war es am lustigsten, echt, denn der Laden gehörte we nigstens einem sadistischen Irren, der Laune machen konnte, nicht einem dieser gelangweilten Geldmacher. Auch wenn die Zigarettenbrandwunde am Hals nicht zu den schönen Andenken zählt, das geflügelte Wort hat ganz recht: Diese Stadt hatte so viel mehr Klasse, als sie noch der Mafia gehörte.
    Schwitzige Handflächen, Blackjack am Samstagabend. Vorbei.
    »Ihr wißt davon nichts, in Nevada«, hatte die Großmutter aus Los Angeles erzählt, »aber in Mexico wissen sie’s, in Costa Rica, und unsere Leute haben es weit verbreitet, auch in Kalifornien, in Arizona, in Texas und in Colorado.« Wer ist sie gewesen, La Llorona, die Frau, von der wir träumen? Eine wie ich wohl, eine Schlampe: Früher bin ich nach Barstow gefahren, nachts, hab einen Trucker aufgelesen, der zeigte mir all seine Künste. Aber heutzutage ist es besser, nach Nirgendwo abzuhauen, nur da ist man nämlich weit genug weg von denen, die nachts unten umherschlurfen, zwischen den Mülltonnen Krach machen, jagen, essen.
    »Sie war eine schöne junge Frau«, sagte die Großmutter, »und den sie geliebt hat, der hat sie betrogen. Er verließ sie für eine andre, als sie ihm schon drei Kinder geboren hatte. Sie ist auf seiner Hochzeit erschienen, als sein Fluch, verstehst du, und dann lief sie heim und erstach die drei Kinder. Da ist sie drüber aufgewacht, aus ihrer Raserei, die Kinderschreie haben sie geweckt. Und lief schreiend und weinend weg von ihrem Zuhause, das er auseinandergerissen hatte, und wurde gefangen, und wurde gehängt. Der Mann hat sich auch umgebracht, bald darauf, aber das ist nicht wichtig.«
    »Was ist wichtig? Irgendwann geht mir das Geld aus, wahrscheinlich, bevor ich aus Nevada draußen bin, dann stehe ich irgendwo mitten in der Wüste, Großmutter. Was ist wichtig? Worauf will ich dann warten? Daß ein Schiff kommt, mich abholen, ein Geisterschiff?«
    »Wichtig ist«, so die Großmutter, »daß sie als weinende Schönheit den Männern erscheint, die kein treues Herz haben, sie verführt und verschlingt: ein Rachegeist. Eine Tote, aber nicht wie diese Zombies, nicht wie diese andern … die Zombotiker. Denn sie ist eine tote

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