Für immer in Honig
Liebe, nicht einfach ein toter Leib. Die Azteken haben sie auch gekannt, als Cihuacoatl, oder Coatlicue.«
Wo hat sie das bloß wieder gelesen, die Alte?
»Was bedeutet es dann aber, wenn sie sich doch an allen untreuen Männern rächen will, daß jetzt auch Frauen von ihr träumen?«
»Das eben ist es«, sagte die Alte, die seit vierzig Jahren ihr Geld mit Wahrsagerei und dem Mischen von Liebespulver verdiente. »Das eben ist es. Die Zeiten sind ernst, wenn die weinende Frau schon so verwirrt ist.«
Der Bus fuhr los.
Es war sechs Uhr morgens, und jeder Platz besetzt.
Als der lange Wagen auf die gerade Straße rollte, sammelten sich bereits weitere Menschen an der Haltestelle. Sie winkten den Davonfahrenden nicht, kein Gruß, keine guten Wünsche.
Das Mädchen fuhr davon, in die größere und große Geschichte, in die Statistik von Fluchtbewegungen aus den Städten, in den Hintergrund, dorthin, wo der Sand aufhört und der wütende Himmel anfängt, der brüllen will, stürzen und brennen.
3 Warum hätte es woanders besser aussehen sollen, im Land der Vergangenheit zum Beispiel, das die Leute »Europa« nannten, wenn das Land der Zukunft, das die Leute »Amerika« nannten, sich schon nicht mehr dafür interessierte, was die Zukunft bringen würde, und keiner mehr wußte, wie die Gegenwart funktionierte?
Die Senatorin konnte nur den Kopf schütteln, als die ehemalige Außenministerin ihr die kleine Mappe übergeben hatte, in der zu lesen stand, was die Forschung über die lebendig tote Pest und über die weinende Frau, über seltsame Erscheinungen des Unlebendigen und die sogenannten W herausgefunden hatte.
Das Dumme war: Es stand da gar nicht sehr viel.
Nicht, weil die Forschung nichts hätte rauskriegen können. Sondern weil die Regierung sie nicht ließ. Die Senatorin blätterte im dünnen Ordner, runzelte die Stirn, rümpfte die Nase und leckte sich nervös die Lippen. Jede Menge Fördergelder machte man offenbar locker für kleine, unkontrollierbare Gruppen von »Kryptozoologen«, »wissenschaftlichen Nekromanten«, sehr wenig nur für sogenannte »Schulmedizin«.
Immerhin: Ein konservativer Psychiater in Maine hatte mit Billigung staatlicher Stellen ein Projekt zu Lykanthropie und Vampirismus angefangen, das einigermaßen solide Daten in der Gegend von Bangor ausgehoben hatte. Mit der Auswertung haperte es noch, aber wenigstens gab’s jetzt Material.
Ein Abgeordneter der Partei, welcher die Senatorin angehörte, hatte sie schon früher einmal über die fast schon verbrecherische Laxheit der Administration in wissenschaftlichen Dingen informiert. Die Maxime dahinter schien zu lauten: »Politische Rück- und Absichten genießen unbedingten Vorrang vor Furzideen wie ›Forschungsfreiheit‹ und dergleichen.«
Die Umsetzung dieser Losung griff auch auf anderen Gebieten als dem des nächtlichen Schreckens in den großen Städten längst flächendeckend: Wenn beispielsweise die Environmental Protection Agency meldete, daß die Erderwärmung und die Unberechenbarkeit der sich daraus ergebenden Wetterverhältnisse bald ernste, auch wirtschaftliche Schäden verursachen würden, wurde der betreffende Passus einfach aus der veröffentlichten Fassung des betreffenden Berichts geknipst. Und wenn das National Cancer Institute einen Bericht ins Internet stellte, der die von religiösen Spinnern aus dem erweiterten Umfeld der Administration verbreitete Lüge widerlegte, es gebe einen Kausalzusam menhang zwischen Abtreibung und Brustkrebs, dann wurden eben rasch mal Direktiven ausgegeben, diese Website zu überholen.
Natürlich interessierten solche Vorgänge die Massenmedien keinen streng riechenden Wind. Die Einzigen, die ein bißchen Besorgnis anmeldeten, gesittet natürlich, denn vornehm geht die Welt zugrunde, waren ein paar Wissenschaftler, ein paar wissenschaftlich ausgebildete Redaktionen von Zeitschriften wie »Science«, »Nature«, »Scientific American« und »Lancet«, manchmal nahmen sich dann auch die American Civil Liberties Union, die Human Rights Watch, die American Public Health Association und andere gemeinnützige NGO s der Sache an, neben ihren sonstigen Pflichten, aber wer hörte schon auf die?
Panikmache, kennt man ja.
Gegen die Zombiegefahr, die Gespenstersichtungen, gegen die Wesen, die nachts jagten, wurde von o ffizi ell unterstützen Stellen insgesamt also nichts weiter vorgeschlagen als Beten, fester, unerschütterlicher Glaube an alle Maßnahmen der Regierung, so unsichtbar die
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