Für immer in Honig
zeitentrückten Jahr 1994 aufgeschlagen, in der ein Aufsatz von ihm über einen Körper- und Videokünstler veröffentlicht worden war, den er hatte nachlesen wollen, um sich von seiner damaligen, inzwischen kaum mehr haltbaren Position zu diesem Menschen in einem neuen Text deutlich abzugrenzen, den er soeben für eine ganz andere Kunstzeitschrift über einen ganz anderen, aber im Modus Operandi dem damaligen Aufsatzgegenstand verwandten Künstler zu schreiben begonnen hatte.
Stefanie stand vor ihm, lässig in den Türrahmen gelehnt. Mit traumschwer zarter Morbidezza sog sie an einer Zigarette und sagte in einer Schmauchpause halblaut: »Njöhh. Ich meinte doch nur, daß du sie ja wohl auch süß findest, sonst würdest du nicht jedes Angebot von Robert annehmen, mit den beiden einen Nachmittag oder einen Abend zu verbringen.«
Dieter griff sich in den Bart, als wollte er ihn sich ausrupfen, schloß dazu die Augen, beugte sich noch weiter nach vorn und sagte zu den Zeitschriften auf dem Boden: »Das … ist doch wirklich der hinterletzte Quatsch.«
Jede Gelegenheit? Sicher, sie waren häufiger zu viert essen gegangen. Unerbeten erschien vor seinem inneren Auge, als er sich das eingestanden hatte, die Szene vom letzten Mittwoch, in der kleinen improvisierten Bar, wo von fingernagellackfarbenem Rotlicht übergossen Valerie und Stefanie einander in der Mitte der Tanzfläche bei den Händen genommen und diese Hände dann wie zwei beschwipste Vestalinnen in die Höhe gehoben hatten, um sich lasziv schlängelnd zur allergeläufigsten Musik von ausgerechnet Miriam Makeba zu bewegen:
Hoo, every Friday and Saturday night
It’s Pata Pata-time
The dance keeps going all night long
Till the morning sun begins to shine – hey!
Aya sat wuguga sat – wo-ho-o (pata pata)
Verfluchter Ohrwurm. Verfluchte Ausgelassenheit.
Dieser Erinnerung, leidig, wie sie Dieter war, folgten sofort andere: Museumsinsel, am Pergamonaltar, Valerie todmüde auf den Stufen nach einem langen Sonntag, wie sie sich an Stefanies Schulter lehnte und die nackten glatten Mädchenbeine auf Roberts Oberschenkel legte, während er, Dieter, etwas abseits saß und sich schämte, ohne zu wissen, wofür. Bei allen derartigen Ausgeh-Gelegenheiten, tagsüber oder abends, umfächerte die kleine Gruppe immer dieselbe Atmosphäre – verdruckst lüstern, stichelnd geil, besonders von Valerie ausgehend, aber, das war die Infamie, irgendwie neuerdings auch von Stefanie, als wären diese beiden Verschworene in einem befremdlichen Spiel, das weder Dieter noch Robert verstanden, auch nicht verstehen konnten, einem Spiel, das auf etwas gar nicht so sehr Erotisches als vielmehr Okkultes hinauslief.
Dieter Fuchs war immens unbehaglich. Er ließ das spitze Hexerbärtchen los, richtete sich im Sitzen gerade auf, sah Stefanie so direkt er konnte in die Augen und erklärte feierlich: »Ich schaue mir das Desaster schon viel zu lange aus der Nähe an. Das stimmt. Aber warum? Weil ich es nicht fassen kann. Weil es, unter anderem, soweit ich weiß, sogar strafbar ist. Denn du kannst mir ja wohl nicht erzählen, daß diese beiden inzwischen …«
»Nicht moahhh … miteinander schlafen?« sagte Stefanie gähnend, und zuckte mit den Schultern: »Na klar schlafen sie miteinander. Das ist bestimmt der ganze Witz daran, nehme ich an.«
»Und das findest du … süß?« fragte Dieter pointiert.
»Nein, das finde ich … ich weiß nicht, wie ich es finde, okay? Ich denke nicht präzise drüber nach, ich muß mir das nicht vorstellen. Aber Valerie finde ich süß. Und faszinierend. Ich frage mich die ganze Zeit, ob ich auch schon so cool war, in dem Alter – sie ist sexy, und trotzdem nicht eine Sekunde kokett. Bei wie vielen Frauen, selbst und gerade erheblich älteren Frauen, findet man so was?«
Dieter zog es vor, zu diesem Bekenntnis zu schweigen.
Stefanie ließ ihm das nicht durchgehen: »Du scheinst dir bißchen zu sicher zu sein, daß du es Scheiße findest, und ruinös. Das Ganze. Und kriminell. Hast du schon mal daran gedacht, deinem Kumpel zu helfen, wenn das so ist? Ihm mal ins Gewissen zu reden?«
Dieters Reserve brach ein, er stand auf, wischte mit einer Hand das Heft auf dem Tisch von links nach rechts und rief laut in die Stefanies stoischer Position gegenüberliegende rechte Ecke des Zimmers, als hockte dort ein göttlicher Ankläger: »Herrgott! Nix anderes … um nichts anderes geht es. Ich denke … ich überlege: Wie kann ich ihm helfen? Die Leute haben
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