Für immer in Honig
abend?
Thomas Gottschalk war auch schon mal lustiger gewesen.
Gequält stellte er seine Gäste vor, umständlich kündigte er Wetten an und begrüßte unbeholfen die Kandidaten, deren Leistungen Gegenstände dieser Wetten sein sollten.
Die Hand von Peter Thiels Frau Margarete fühlte sich kälter an als tot. Die Uhr an der Wand tickte langsam wie der Fortschritt der Menschheit hin zum Leben ohne Angst vor Tod und Blödsinn. Was, meldete sich zum Zeitvertreib ein altvertrauter Gedanke in Peter Thiels Kopf, war das Schlimmste an der Ehe mit einer Zombotikerin? Nicht die Temperatur der Körperoberfläche, damit lernte man zu leben. Nicht die verlangsamten Denkprozesse, die häufige Desorientierung der teuren lebenden Toten – das war bloß eine Konsequenz des bei Margaretes Reanimation noch nicht richtig ausgereiften mythizinischen Verfahrens, und der Tatsache, daß man hier nicht ganz soviel Geld zur Verfügung gehabt hatte wie bei einigen glücklichen reichen Zombotikern, weil Margarete nur aufgrund von Losglück zu den Auserwählten gehörte, bei denen trotz Kassenzuzahlungsschranke der Versuch gewagt wurde, im Rahmen eines flächendeckenden Feldversuchs.
Das Schlimmste war der fehlende Geruch.
Die kalte Frau, die manchmal stundenlang reglos starrend, wenn auch im biologisch vorgegebenen Takt blinzelnd, irgendwo in der Wohnung stehenblieb, roch nach gar nichts – kein Mundgeruch, kein Schweißparfüm, kein intimes Aroma. Im Grab hat sie gelegen, dachte Peter Thiel wie schon häufiger, und riecht trotzdem nicht nach Erde – röche sie nach Erde, wäre es leichter zu ertragen, auch ihre flache, affektlose Sprache gewänne so viel, wenn sie Erde im Mund behalten hätte …
Wie das wohl gewesen war, im Nichts? Liegezeit, Bodendruck, Stoffaustausch, Mikroorganismen: wichtige Störfaktoren bei der Zombotisierung. Er erinnerte sich an die Broschüre, und daß darin die Rede davon ging, daß es schwer war, Körper wiederherzustellen, die Biß- oder Fraßspuren von Tieren aufwiesen, oder mäandernde Gravuren, Ätzspuren und Bohrkanäle von Pflanzen, Bakterien, Würmern.
Peter Thiel riß sich von diesen scheußlichen Überlegungen los und fragte sich lieber wieder, wo seine Tochter Valerie den Samstagabend verbrachte. Das Mädchen hatte ihm, und der Frau mit den kalten Händen, vorhin versichert, sie würde mit ihren Freundinnen – Christina kannte er persönlich, von der ominösen Sarah hatte er bloß reden hören, außerdem war ihm deren Stimme vom Telefon her geläufig, und die Frau mit den kalten Händen war ihr und Valerie angeblich mal beim Einkaufen begegnet – in irgendeine Disko gehen, oder einen »Club«, wie sie das heute nannten. Aber etwas stimmte nicht mit Valerie, noch weniger mit diesen Freundinnen, diesen Freundschaften, ja: mit der Welt, in der Valerie neuerdings lebte.
Die Anrufe zum Beispiel: Sie blieben aus.
Früher hatten Valeries Freundinnen unter der Woche spätestens um sieben jeden Abend angerufen, manchmal waren es diese beiden, manchmal andere Mädchen gewesen, sehr selten Jungs. Seit etwa drei Wochen aber, seit diese nicht meßbare, gerade dadurch besonders unheimliche Veränderung mit Valerie vorging, rief niemand aus dem undurchsichtigen Umfeld seiner Tochter mehr »auf dem Festnetz« an.
Valerie saß in ihrem Zimmer, hörte Platten oder saß am Computer – den hätte ich ihr nie kaufen sollen, ein Wahnsinnsgeschenk eigentlich für so ein Kind, besser, sie wäre weiter an meinem gesessen, zum Surfen, das hätte wenigstens ein Minimum an Kontrolle erlaubt, mit wem sie »chattet« und E-Mails wechselt … Manchmal hörte er sie reden, dort im Zimmer, selbst nach zehn, früher undenkbar, und ausschließlich an ihrem eigenen Telefon, dem verdammten Handy …
Das Zurechtkommen von Eltern mit Teenagern hatte sich durch die neuen Medien ins komplett Paranoide verschoben, schlimmer als in den Science-Fiction-Romanen, die Peter Thiel las, seit er auf der Fachhochschule in Aachen in den Siebzigern damit erstmals in Berührung gekommen war, vermittelt durch einen Kommilitonen, der inzwischen in der Halbleiterbranche dickes Geld gemacht hatte. Wenn jemand Peter Thiel 1975 einen Roman in die Hand gedrückt hätte, der die Welt so schilderte, wie sie mittlerweile war, hätte er das als wirres Zeug abgelehnt: AIDS , der Treibhauseffekt, die Zombotik, das Internet, der Zusammenbruch des Ostblocks, der 11. September 2001, die Mythematik und Mythizin, die Gentechnik, die schlimmste
Weitere Kostenlose Bücher