Für immer in Honig
an. Wir verehren die Vorfahren nicht als loa, wie die Haitianer, nicht als Kami, wie die Shintoisten, nicht als Heilige, wie die Katholiken. Wir sehen in ihnen einfach diejenigen, von denen wir stammen, die menschlichen Feinde der verkehrten Welt, und von denen auch ihr stammt: die W. Ich bin eine von den Benandanti, den europäischen Bewahrern, die man Hexen genannt hat.«
»Ist das ein Krieg? Gibt es da Seiten? Wohin gehöre ich? Kann ich mir das aussuchen?«
»Wir sind auf der Seite der Unschuldigen. Aber wir sagen auch: Es ist höchste Zeit, daß die Klügeren unter den Unschuldigen nicht mehr nachgeben.«
»Seid ihr … ist das Zauberei, Magie – so wie bei Sabrina, der Teenagerhexe?«
»Unsere Methode ist Wissenschaft, unser Ziel ist Religion. Traditionalistinnen und Konservative unter uns schlachten Hähne, versuchen des alchimistische große Werk und so weiter, aber das liegt daran, daß die Magie wieder mal, wie so häufig, Platzhalterin der Vernunft in unvernünftigen Zeiten spielt. Ich jedenfalls, und Christina – wir halten es mehr mit dem Fortschritt, wir gehören nicht zu denen, die Legba anrufen, den Geist der Kreuzungen und der Nachrichten, oder Bacchanale abhalten, oder uns mit Salben einschmieren und auf den Blocksberg reiten. Wir halten es mehr mit Gruppen- und Kategorientheorie, mit Punktmengen, in denen unterschiedene Punkte auch unterschiedene Umgebungen haben müssen, mit Objekten und Morphismen, auch Morphismen zwischen Morphismen. Damit, daß irgend jemand diesem Wahnsinn Einhalt gebieten muß, eine ganze Zivilisation nur auf vagen Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Ideen aufzubauen, statt auf Be obachtung, logischem Schluß und der Tatsache, daß Dinge seltener gleich sind, als man meint. Wir lieben, wie Dr. Rock, die Kategorien am allermeisten. Das liegt daran, daß sie uns nicht zwingen, von zwei Dingen zu behaupten, sie seien gleich – lebende Organismen und reanimierte Organismen zum Beispiel –, wenn wir es in Wirklichkeit nicht mit einer Analogie zu tun haben, sondern mit einer Operation, die das eine ins andere überführt.«
»Hä?« sagte Valerie, obwohl sie eigentlich einen viel stärkeren Ausdruck suchte, Doppelhä oder so etwas.
»Wenn du eine richtige W geworden sein wirst, wirst du das alles verstehen. Und jetzt genug geplappert. Wach auf, gleich klingelt dein Handy.«
»Wie… wieso mein Handy?«
»Damit ich dir den Rest verraten kann. Den du nur verstehen kannst, wenn du wach bist. Wir treffen uns am Dorotheenstädtischen Friedhof. Es gibt ein paar unangenehme Dinge über deinen leiblichen Vater, die du wissen mußt.«
Das Dudeln weckte Valerie nicht. Sie griff schon nach dem Apparat, bevor es anfing.
Dritte Minidisc-Aufnahme
F: Sag mal, diese Ölgeschichte, was Ianthe da erzählt hat, diese Tiefseesprengung … das stimmt nicht wirklich, oder?
J: Eigentlich sollen Sachen auf die Discs, die ich nur im Kopf habe, die nirgendwo anders dokumentiert sind. Über die Sabotagegeschichte gibt es so viele Dokumente … keine öffentlich einsehbaren natürlich, aber wer es finden will, findet’s. Du solltest mich das also nicht fragen, das verschwendet nur Speicherplatz.
F: Aber es geht doch um eine Dokumentation deiner Vergangenheit, oder?
J: Nicht nur meiner. Es geht um Geschichte. Die Teile, die nicht rekonstruiert werden können, wenn ich weg bin.
F: Ich mag mir das nicht vorstellen, wie das ist, wenn du weg bist.
J: Du bist ja auch mein Süßer.
F: Sehr witzig. Ich weiß ja nicht mal mehr, wie ich dich nennen soll.
J: Jennifer. So bin ich getauft worden, und so hieß ich in dem Zeitabschnitt, um den es geht.
F: Hast du eigentlich eine Ausbildung für das, was du gemacht hast, gibt es das?
J: Mehrere. Informatik, Kampfsport, Logistik, Kryptographie, Geologie, Biologie, und eine Weile habe ich in der Ölindustrie gearbeitet. Das und die Militärforschung waren im Kalten Krieg die vordersten Fronten für meinen … Beruf.
F: Echt, nicht Silizium Valley oder so was?
J: (lacht) Ich will dir mal was erzählen. Eine Geschichte von damals. Sagt dir die Abkürzung »FFT« irgendwas?
F: Nö.
J: Computermenschen wüßten, was das ist: Fast Fourier Transformation. Eines der wichtigsten Rezeptbündel in der modernen Computerwissenschaft überhaupt. Das sind ein paar Algorithmen, die dazu dienen, sehr schnell die diskrete Fourier-Transformation einer Funktion zu berechnen, und die braucht man, um Differentialgleichungen zu lösen – für Spektralanalysen,
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