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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg – jedes dieser Phänomene für sich gab genug her für ein interessantes Buch, einen schönen Film, aber alle auf einmal?
    Seltsamerweise war es immer bloß das Nachdenken über die Dinge, was so kompliziert wurde, sobald mehr als drei Parameter zusammenkamen – beim Handeln dagegen war es egal, wie viele Faktoren zur Situation beitrugen; solange man handelte, war man irgendwie obenauf. Das Handgemenge neulich, mit dem Jungen in der Nähe des Dorotheenstädtischen Friedhofs, da verhakten sich die Arme des zu Boden Getretenen in Peter Thiels Armen, und es war gar nicht so leicht, die Gliedmaßen des Opfers und die eigenen auseinanderzuhalten, einen Moment lang, und trotzdem hatte ihn das nicht überwältigt, nicht dieses Gefühl der Ohnmacht heraufbeschworen, wie jetzt hier die Nachdenkerei auf dem Sofa.
    Das Finnenmesser steckte da schon in der Halsgrube des Jungen, schwarz gurgelte das Blut aus seinem Mund, und der Kopf wollte nicht aufhören, das Gesicht in Peter Thiels Richtung zu drehen oder es doch zu versuchen, so oft er ihn auch gegen die niedrige Umfassungsmauer des kleinen Parks schlug, mit beiden Händen festhielt, an beiden Ohren, und wieder gegen die Steine krachen ließ, noch mal. Vielleicht war das, was Peter Thiel in solchen Situationen immer wieder das Gefühl gegeben hatte, endlich einmal nicht überfordert zu sein von dem, was geschah, weniger die Macht, die ihm diese grelle Gewalt verlieh, die er da verübte, und viel eher das Wissen, einer Konvention zu folgen, eine Filmrolle auszufüllen, das Tun der berühmten Killer nachzustellen, über die er in Büchern gelesen hatte. Auf Mord hatte er sich immerhin vorbereiten, einstimmen können, auf das Zusammenleben mit einem geruchlosen Kadaver und einer unverständlichen Tochter nicht.
    Wer keinen Umgang mit Leichen pflegt, dachte Thiel leicht fröstelnd, werfe den ersten Klumpen Erde. Wir versuchen alle auf unsere je eigene Art, mit diesen Zeiten fertigzuwerden: Manche schnüffeln Klebstoff, manche glauben an den Aufschwung, manche glauben, hinter allen Kriegen und Terroranschlägen auf der Welt steckten die Juden. Lähmung = Paranoia = Euphorie = Lähmung.
    Er aber brachte Knaben um die Ecke, zeigte ihnen, wer er war, und duschte danach lange.
    Seine Frau hatte auch ihre Methoden, mit der Monstrosität fertigzuwerden, die sie war, und er erkannte das an: Sie las einen Haufen Lebenshilfeliteratur, was bei ihrem angeschlagenen Gedächtnis bestimmt nicht leicht war. Im Moment lag der Bestseller »Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte« von Clarissa Pinkola Estés auf ihrem Nachttisch, und einmal hatte Peter Thiel beim Einschlafen deswegen kichern müssen, was sie nicht gehört hatte, zum Glück: Liest sich einen Werwolf an, dabei ist sie ein Frankensteinmonster, drollig.
    Ach, Valerie – was war los? Weibliche Urinstinkte? Trotzphase?
    Peter Thiel hatte die Frau mit den kalten Händen mehrfach danach gefragt, denn tot, lebendig oder zombotisch: Frau blieb Frau und war mal Mädchen, vielleicht wußte sie ja etwas.
    Margarete war jedoch bloß der Meinung, er rege sich ganz umsonst auf: »Sie … testet … halt … die … Grenzen … und … das … Handy … und … der … Computer … erlauben … ihr … mehr … Geheimnisse … als … vorher.« (Schrecklich, diese Sprechpausen nach jedem Wort, aber so war das eben mit erst abgestorbener, dann neubeseelter Zunge.)
    Er hatte nicht darauf bestanden, auch nicht das Argument gebracht, das ihn jetzt beschäftigte: daß es Handy und Computer auch schon vor der jüngsten geheimnistuerischen Phase gegeben und dennoch damals keine Funkstille auf den von den Eltern überwachbaren Kanälen geherrscht hatte.
    »Wahnsinn … wie … die … das … machen … mit … dieser … Wette … dafür … haben … sie … bestimmt … Jahre … lang … geübt«, sagte die Frau mit den kalten Händen.
    Zerstreut murmelte Peter Thiel: »Ja, ganz toll«, und stellte fest, daß er gar nicht mehr verstand, was da vor ihm auf dem Schirm passierte: Irgendwelche in blaue Overalls gekleidete Menschen versuchten gemeinsam, mit den Armen einen Traktor aufzuessen, war es das?
    Der müde Vater stemmte sich mit letzter Kraft aus dem Sessel und raunzte: »Ich geh mal neue Dinger. Dings. Neue Nüsse holen.«
    »Sind … doch … noch … genug … da«, sagte die leere Frau, ohne ihn anzusehen, ohne ihre Worte überhaupt an etwas Lebendiges zu richten. Wahrscheinlich ist

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