Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
„seine liebe Mutti“ lag. Er entschied sich spontan, einer Eingebung gleich, nur noch diese Bezeichnung zu verwenden. Mathilde oder Elena gab es ab jetzt nicht mehr. Zu seiner Überraschung war die Einfahrt auf das Fabrikgelände in der Richard-Dunkel-Straße versperrt. Ein neues Tor aus verzinktem Eisen leuchtete silbergrau in den alten, verrosteten Türangeln und war mit einer Kette und Vorhängeschloss gesichert worden. Er wunderte sich zwar ein wenig über die unerwartete Veränderung, aber er wollte sowieso aus Sicherheitsgründen nie zu nah an seine Wallfahrtsorte heran.
Nun hast du fast schon ein Mausoleum, dachte er und nahm die neue Situation als nicht weiter bemerkenswert hin. „Bleib schön da liegen, liebe Mutti!“ rief Benjamin laut lachend ins Führerhaus seines Transporters und gab Gas.
Er brauchte jetzt ein wenig Erholung, bevor er seinen Plan fortsetzen konnte. Bald würde es ihm richtig gut gehen. Davon war er überzeugt. Er erinnerte sich daran, dass er unbedingt die Aufzeichnungen seiner Webcam kontrollieren musste. Das hatte er schon längere Zeit nicht machen können, da er vollends mit Elena beschäftigt war. Aber auf ihn kommen konnte man so nicht. Dazu hatte er viel zu geschickt alle Spuren beseitigt. Trotzdem war es gut, in Erfahrung zu bringen, ob er die sichere Wohnung im Notfall noch nutzen könnte.
Als Benjamin die Stadt schon verlassen hatte und auf die Bundesstraße in Richtung Syke bog, begann der Wecker von Mechthild Kayser zu piepsen. Erst langsam, dann immer schneller. Sie drehte sich auf die Seite, und ein Arm kam suchend unter der Bettdecke hervor, bis die Hand endlich den Drücker auf dem Wecker fand und das Wecksignal erlosch. Sie rüttelte sich im warmen Bett noch einmal in eine wohlige Lage und blieb liegen. Exakt neun Minuten später wiederholte sich das Wecksignal mit nun anschwellendem Ton, und Mechthild Kayser setzte sich abrupt auf die Bettkante. Sie fummelte an der Aus-Taste des Weckers herum, bis endlich Ruhe war. Sie war erst gegen zwei Uhr letzte Nacht ins Bett gekommen, lange nach ihren Kollegen.
Sie war die Vermisstenliste einen Zeitraum von acht Wochen zurückgegangen. Und sie hatte eine Frau aus Büdelsdorf bei Flensburg ausfindig gemacht, auf die die Beschreibung passte. Das ins Netz gestellte Photo war nicht so gut, dass man schon von einem Treffer reden konnte. Aber falls man ihren Zahnarzt oder jemanden anderen ausfindig machte, der sie gekannt hatte, würde sie bei einer Überprüfung entweder ausgeschlossen werden, oder die unbekannte Leiche war endlich identifiziert.
Mechthild wusste, dass sie dringend ins Büro musste. Ihr Frühstück fiel spartanisch aus. Während des Duschens brachte ihre Schweizer Kaffeemaschine einen doppelten Espresso zustande, dessen Geruch sie lockend schon im Bad erreichte, während sie noch beim Abtrocknen war. Zum Espresso gab es auf die Schnelle eine reife Banane, und schon verließ sie das Haus. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und radelte den Dobben hinunter. Am Eck an der Sielwallkreuzung hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet. Ein Streifenwagen sowie ein Rettungsfahrzeug des Roten Kreuzes standen mit eingeschaltetem Blaulicht auf der Fahrbahn und blockierten eine Straßenbahn. Mechthild hielt inne und ging auf die uniformierten Kollegen zu. Nachdem sie ihren Dienstausweis vorgezeigt hatte, berichtete ihr der Streifenführer, was geschehen war. Ein stadtbekannter Punker hatte von irgendjemandem eine Gabel ins Auge gestoßen bekommen. So schrecklich das war: Mechthild war ein wenig erleichtert. Nicht noch ein Fall für sie, wo ihr Team doch schon so klein war.
Im Treppenhaus des Polizeihauses traf sie auf Ayse. Auch sie sah sehr übernächtigt aus. Trotzdem lächelte sie. „Schönheitschirurgie im Internet ist ein weites Feld!“ begrüßte sie ihre Freundin.
„Die Vermisstendatei war auch nicht ohne!“ erwiderte Mechthild und legte beim Steigen der Stufen einen Arm um die Schultern ihrer Freundin. Wahrscheinlich glauben viele Männer, die uns so sehen, dass wir lesbisch sind, dachte sie dann und zog unsicher ihren Arm zurück.
Roder und Heller waren beide schon im Büro und hatten ihre Ermittlungen fortgesetzt. KK Heller gab erneut in seiner Suchmaschine „Kleidung der sechziger Jahre“ ein und hoffte, dass die Reihenfolge der angezeigten Seiten sich nicht von gestern auf heute verändert hatte. „2.460.063 Einträge in 8,6 Sekunden.“ Er ging auf die Seite, bis zu der er gestern Abend
Weitere Kostenlose Bücher