Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
nach Marokko unternahm, von dem er nicht zurückkehrte. Das BKA vermutete, dass er sich von dort in den Libanon begeben hatte. Alle Anfragen über das Auswärtige Amt im Libanon brachten aber keine Gewissheit. Anna blieb wie ihr Vater seitdem verschwunden.
„Dieser Vollidiot!“ schrie Benjamin aufgebracht. „Wollte sich an meiner Mutti zu schaffen machen. Dieser Dreckskerl wollte sie mir wegnehmen!“
Er stand breitbeinig und mit erhobenen Fäusten in seinem Haus. Sein Gesicht war verzerrt, sein Mund weit aufgerissen, als wenn er zubeißen wollte. Speichel lief ihm über die Unterlippe, und sein Oberhemd war schweißdurchtränkt. In seinem völlig ungezügelten Wutausbruch warf er den Esstisch um, schnappte sich einen der Stühle und zerschmetterte ihn an der Wand in der Küche. „Du Schwein!“ grölte er und tobte durch sein Wohnzimmer auf der Jagd nach einem imaginären Gegner. Er griff sich den am Rohbau seines Kamins hängenden Schürhaken und stand nun schnaubend mitten im Raum, bereit, jeden Feind sofort zu erschlagen – aber es war keiner da.
Nur langsam beruhigte er sich. Er feuerte den Schürhaken in den offenen Kamin, dass es Funken schlug, und stampfte vor das Haus. Die kühle, frische Luft beruhigte ihn. Wenn er so wütend wurde, sah er nichts mehr um sich herum. Er konnte dann nur noch zuschlagen, kaputtmachen, zerstören.
„Nicht gut!“ sagte er laut zu sich selbst. „Nicht gut!“
Er musste sich zusammenreißen. Er durfte die Kontrolle nicht verlieren. Er musste seinen Plan weiter verfolgen. Und er hatte sich zu beeilen. Zwischen Mathilde und Elena hatte er sich Wochen Zeit gelassen. Das durfte nicht noch einmal passieren. Er durfte nicht schludrig werden. Er ging zurück ins Haus, verriegelte die Tür und legte sich im Obergeschoss ins Bett. Hier holte er eine Flasche Wodka aus dem Schränkchen neben sich. Den Fernseher ließ er dabei laufen. Er schaltete so lange herum, bis er einen der reinen Verkaufssender fand, und betrank sich langsam, während auf der Mattscheibe immer wieder von Neuem dieselben Menschen auftauchten und erzählten, wie sehr ihr Heimtrainer ihr Leben verschönert hatte. Er liebte diese Dauerwerbesendungen. Bevor ihn der Alkohol gänzlich seiner Sinne beraubte, beschloss er, am nächsten Tag seinen Plan weiter voranzubringen. Worte wie Mahnmal, Gedenkstätte, Wallfahrtsort geisterten in seinem Kopf herum.
Mechthild Kayser war unterdessen mit den Vorbereitungen für ihr Treffen mit Ayse beschäftigt. Sie gab sich alle Mühe, eine wohlige und entspannende Atmosphäre herzustellen.
Für die Entwicklung von Phantasien über den Täter oder über die Gründe für sein Handeln musste der Geist frei und beweglich sein. Alltägliches konnte sehr schnell das Denken beanspruchen und Gefühle und innere Bilder beeinflussen und überschatten. Obwohl sie genau wusste, dass Vorurteile und verinnerlichte Werturteile jedes Denken beeinflussten, war sie dennoch überzeugt davon, mit Intuition und Hineindenken in den modus operandi ein Bild vom Täter und seinen Beweggründen herstellen zu können. Und selbst wenn es nichts brachte, hatte sie zum einen den Versuch unternommen, und zum anderen würde dieser Abend ein schöner mit Ayse geworden sein. Und klar war auch, dass die Männer der Mordkommission dabei nichts zu suchen hatten. Die würden sich nur auf ihre Thesen, die sie sich auf dem Weg zwischen Büro und Abendbrot ausgedacht hatten, versteifen und rechthaberisch verteidigen. Besonders gegen andere Männer, da sie Frauen wahrscheinlich sowieso nicht ernst nahmen. Und dabei würden sie Unmengen von Wein austrinken und irgendwann einfach nach Hause gehen.
Mechthild hatte den dunkel gebeizten Esstisch, in dessen Mitte sich ein rechteckiges Fries aus blauweißen Fliesen befand, auf denen eine bäuerliche Ernteszene dargestellt war, mit Servietten und kleinen, weißen Tellern eingedeckt. Der Saint-Emilion war schon geöffnet und sog Sauerstoff ein. Schinken und Käse waren von ihr in zarten, weißen Steingutschalen angerichtet und die Cracker in einen runden Korb drapiert worden, den sie vorher sorgfältig mit einem Leinentuch ausgeschlagen hatte. Die grünen Oliven lagen in einem länglichen Porzellanschiffchen bereit. Sie polierte die etwas kitschigen Weingläser aus buntem Kristallglas. Erbstücke von ihrer Tante.
Bevor Ayse eintraf, war noch Zeit, das Regionalfernsehen zu verfolgen. Die Sendung buten un binnen brachte einen Beitrag über den aktuellen Mord. Ohne jede Kritik
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