Für immer tot
Baroni.
– Ich weiß.
– Ich kann sie nicht auch noch verlieren.
– Ich weiß, Max.
– Sag mir, dass alles gut wird.
– Das kann ich nicht, Max.
– Bitte, Baroni, mach, dass alles wieder gut wird.
– Wir können hier nichts tun. Vielleicht sollten wir anders an die Sache herangehen.
– Irgendwo müssen wir anfangen zu suchen, ob zuerst im Wald und dann in der Schlucht oder umgekehrt, das ist doch egal. Hauptsache, wir suchen.
– Ich meine, völlig anders, Max.
– Wir haben jetzt keine Zeit für deine Spinnereien. Ich laufe jetzt wieder rüber zu unseren Freunden und Helfern, und ich werde jeden Scheißstein in diesem Wald umdrehen.
– Hör mir zu, Max. Wir sollten uns ins Auto setzen und zu ihm fahren.
– Zu wem?
– Wagner.
– Ins Gefängnis?
– Genau.
– Und dann?
– Fragen wir ihn, wo Tilda ist.
– Du hast Paul gehört.
– Und ich habe gehört, was du gesagt hast.
– Was habe ich gesagt?
– Dass du ihr glaubst. Dass du ihr vertraust.
– Ja, schon.
– Dann komm.
– Wir können doch nicht einfach.
– Doch können wir.
– Ich weiß nicht.
– Komm schon, Max, ob wir beide hier in der Reihe stehen oder nicht, spielt keine Rolle. Dort können wir vielleicht mehr für sie tun.
– Ich will mit ihr reden, ich will ihre Stimme hören.
– Dann setz dich ins Auto und ruf sie an. Du hast die Nummer.
Max wählt. Er wird sich kurz halten, er will nicht, dass sie ihre Verbindung zur Welt verliert, er hat Angst, dass er ihre Stimme nie wieder hören wird, er will, dass sie abhebt, er will, dass sie sagt, das es ihr gut geht, er hat Angst vor dem, was sie nicht sagt.
Es läutet zweimal, dann ihre Stimme und wie Max zu weinen beginnt, wie er schluchzt, sie kaum zu Wort kommen lässt. Wie er sich bedankt bei ihr, für alles, was sie getan hat, wie er sich das Schlimmste ausmalt, während er spricht.
Wie er ihr sagt, dass er sie liebt. Und dann, wie es still ist. Kurz. Wie ihre Stimme in sein Ohr kommt, wie sie ihm gut tut, wie sie ihn aufrichtet, ihm sagt, dass sie sich wiedersehen werden. Sie macht ihm Mut, nimmt ihm seine Tränen, sie sagt, dass sie an ihn glaubt, dass sie weiß, er wird ihr helfen, er wird sie finden.
Such mich und sei so stur, wie du es immer bist, sagt sie.
Bin ich, sagt Max und legt auf.
Er sitzt am Beifahrersitz von Baronis Wagen.
Sie können die Suchmannschaften sehen, wie sie in Reihen über die Wiesen gehen. Tilda ist irgendwo da draußen, irgendwo unter der Erde, allein. Sie hat Angst, sie ist verzweifelt, doch sie hat ihn getröstet, ihm Mut gemacht. Sie weiß, was passiert, sie ist über alle Schritte informiert, auch über die, die nicht gegangen werden. Egal wie oft Tilda Paul darum gebeten hat, mehr zu tun als sie nur zu suchen, Paul blieb dabei. Die Polizei konzentriert sich auf die Suche, für alles andere gibt es keine Basis, keine Beweise. Sie kann keinen Hirngespinsten nachlaufen, die Zeit drängt, Hunde, Hubschrauber und hunderte Freiwillige durchkämmen das Zielgebiet, sie tun alles dafür, dass sie gefunden wird.
Tilda weiß, wie das Spiel funktioniert. Sie weiß, was Paul tun kann und was nicht, was die Logik erlaubt und was die Realität verbietet. Vielleicht wird man nach einem Doppelgänger suchen, kurz Karteien durchblättern lassen, aber für mehr wird er keine Ressourcen haben. Alles, was Beine und Hände hat, wird nach ihr suchen, nach ihr graben, versuchen, sie lebend wieder ans Licht zu holen.
Max hat ihre Stimme noch im Ohr. Er will ihr glauben, er muss. Seine Zweifel will er nicht, er will, dass sie recht hat, er will irgendetwas finden, das es beweist.
Mit einem Nicken fordert er Baroni auf loszufahren.
Fünf
Überall in den Nachrichten Tildas Gesicht.
Ein Portrait von ihr, sie lächelt in die Kamera. Kriminalhauptkommissarin entführt und vergraben. Suchaktion läuft auf Hochtouren, tausend Einsatzkräfte Tag und Nacht im eingegrenzten Gebiet unterwegs. Ein ganzes Land steht unter Schock und schaut gespannt auf das kleine Dorf im Westen.
Von unsagbarer Brutalität sprechen sie, von Grausamkeit und einer ausweglosen Situation. Ein ganzes Land begleitet sie beim Sterben, ein ganzes Land schaut zu, wie Hunde und Menschen durch die Gegend irren. Dorfbewohner werden interviewt, dutzende Übertragungswägen haben sich im Einsatzgebiet positioniert. Immer dieselben Fragen kommen wieder. Wird man sie rechtzeitig finden? Wer tut so etwas? Es wird spekuliert, gemutmaßt, Gerüchte werden in die Welt gesetzt. Sie
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