Für immer tot
freilassen? Wird er ihn erschießen, wenn er aus dem Haus kommt? Wird er jetzt wirklich sterben? Kann es wirklich sein, das alles so kommt? Dass kein anderer Weg mehr bleibt? Er überlegt. Seit zwei Minuten in seiner Küche.
Er sieht sie vor sich. Tilda.
Wie sie im Dunkeln liegt und Angst hat.
Dann rennt er los. Er ist sich sicher.
Er weiß, was passieren wird.
Er weiß es einfach.
Einundzwanzig
Nichts mehr ist gut. Gar nichts.
Max schleicht der Hauswand entlang und springt dann mit langen Schritten über den Platz, er poltert an Baronis Tür, schreit, stürzt nach innen. Baroni starrt ihn an, geht mit ihm nach oben, schaut in das traurige Gesicht von Max, in diese Augen, die jetzt noch leerer sind als am Abend zuvor.
Setz dich, sagt Baroni.
Ich werde sterben, sagt Max.
Baroni neben ihm, wortlos.
Er hört zu. Auch la Ortega und Blums Frau setzen sich zu ihnen. Was sie hören ist Wahnsinn, über Wagner, über diese Idee, Tilda zu retten, sich für sie zu opfern. Baroni schüttelt den Kopf. Immer wieder geht er hin und her, bevor sein Mund aufgeht, bevor er endlich beginnt, auf Max einzureden, versucht, ihn davon abzuhalten, sich auf diesen Unsinn einzulassen. Dass Max sterben soll, will Baroni nicht akzeptieren, er besteht darauf, Paul anzurufen, nach Wagner fahnden zu lassen, er muss in der Nähe sein, sie werden ihn finden. Er nimmt den Kopf von Max in seine Hände und redet auf ihn ein, bittet ihn, mit ihm in der Wohnung zu bleiben, abzuwarten. Baroni fleht ihn an, vernünftig zu sein, nachzudenken, er beschwört ihn, beschimpft ihn. Doch nichts hilft.
Max wird sterben.
Er wiederholt es, versucht zu erklären, dass er nicht anders kann, dass er es tun muss, dass er nicht mehr leben will. Nicht so. Ohne Hanni. Ohne Tilda. Max weint.
Es tut mir alles so leid, sagt er.
Blödsinn, sagt Baroni.
Er hört nicht auf, den Kopf zu schütteln, auf und ab zu gehen, er schreit Max an. Er soll jetzt endlich mit diesem Scheißdreck aufhören. Er soll es lassen, er soll ein Glas Wein trinken und sich zurücklehnen, er soll schlafen, sich betrinken, er soll einfach seinen Mund halten und nichts tun. Nicht nach draußen gehen, nicht mit Wagner telefonieren, nie wieder. Baroni weiß nicht weiter, er ist verzweifelt, er packt Max bei den Schultern, schüttelt ihn. Er kennt ihn, er spürt, wie ernst es ihm ist, dass Max nicht mehr davon abzubringen ist, dass er sich für diesen Weg entschieden hat, weil er sich verantwortlich fühlt für das, was passiert ist.
Hör auf damit, schreit er.
Baroni rüttelt ihn hin und her. Er weiß, dass nichts ihn umstimmen kann, egal wie laut er schreit, wie oft er ihn noch anbrüllt, wie liebevoll er ihn darum bittet, Max wird tun, was er meint tun zu müssen. Egal ob es Unsinn ist. Für ihn ist es die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt. Einen anderen Weg gibt es nicht mehr. Er ist bereit, für Tilda zu sterben. Baroni muss es akzeptieren, dass Max hier ist, um sich zu verabschieden. Für immer.
Nichts nützt. Auch Baronis Fäuste wären sinnlos, würden Max nicht aufhalten. Max will sterben. Einfach so an einem Dienstag. Wie unvorstellbar dieser Moment ist, wie unglaublich. Wie la Ortega sich nur noch die Hand vor den Mund hält. Wie Blums Frau schweigt. Wie Baroni zum Telefon greift und wählt.
Ich kann das nicht zulassen, sagt er.
Bitte lass mich, sagt Max.
Sie umarmen sich. Freunde. Hilflos ineinander, ihre Arme, ihre Geschichten. Drei gemeinsame Jahre, Baroni und Max. Zwei Männer im Designerwohnzimmer. So viel, das sie verbindet, so viel, das in dieser Umarmung einfach aufhört.
Ich kann nicht anders, sagt Max.
Wie Baroni ihn festhält, ihn beschützen will. Wie Max sich von ihm löst und aufsteht, weil sein Telefon klingelt. Wagner schreit nach ihm.
Ich muss jetzt gehen, sagt Max.
Das Telefon in seiner Hand. Max schaut Baroni an und drückt den grünen Knopf.
Bitte lass mich gehen, sagen seine Augen, dann reißt er die Tür auf und rennt die Treppen nach unten.
Er hat drei Minuten.
Er rennt. Max weiß, dass er Wagner nicht noch einmal provozieren darf, dass er seinen Anweisungen ab jetzt folgen muss. Er muss tun, was Wagner sagt. Er hat drei Minuten lang Zeit, nicht mehr. Wagners Stimme ließ ihm keinen Spielraum mehr. Tilda wird keinen weiteren Tag mehr überstehen, Max ist ihre letzte Chance, sein Leben gegen ihres. Max rennt. Er reißt die Kirchentür auf, rennt durch das Kirchenschiff, öffnet eine weitere Tür und steigt nach oben.
In drei Minuten oben
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