Fuer immer und einen Tag
Zukunft zu richten. Ich wurde bald sechzig und spürte mein Alter allmählich, aber noch gehörte ich nicht zum alten Eisen. Ich holte tief Luft. »Ich bin bereit«, sagte ich.
In Dr. Spellings Büro war es dämmerig, passend zu dem düsteren Tag drauÃen. Emma saà auf dem Stuhl neben seinem Schreibtisch und beobachtete ihn, während er auf den Bildschirm vor sich starrte und sich das Kinn rieb. Sie hob den Kopf ein wenig, wie um sich von den warmen Sonnenstrahlen bescheinen zu lassen, die nicht durchs Fenster hereinströmten. Ihre Augen brannten in dem nicht vorhandenen Licht, das nichtsdestoweniger von den buttercremefarbenen Wänden zurückgeworfen wurde.
Der Arzt hatte sie zu sich bestellt, um das Ergebnis des letzten CTs mit ihr zu besprechen, aber ihre Gedanken schweiften ab. Zuerst hatte sie das seltsam vertraute Gefühl nicht einordnen können, doch dann schlug ihr Herz plötzlich schneller. Hier hatte alles angefangen. Das war der Moment, in dem Dr. Spelling sich ihr zuwenden und ihr auf seine unnachahmliche Art mitteilen würde, dass es vorbei war, dass sie krebsfrei war. Für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte sie es beinahe, Ben und ihre Mutter nicht mit hineingenommen zu haben, statt sie in den Wartebereich drauÃen zu verbannen, aber dann gewann die Wirklichkeit wieder die Oberhand. Sie schüttelte den Wunschtraum ab und setzte ihre FüÃe fest auf den Teppich, um ihre Beine am Zittern zu hindern.
»Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten, Emma«, sagte Dr. Spelling.
Als sie schlieÃlich bereit war, sein Sprechzimmer zu verlassen, war der anfängliche Schock von zwei sehr verschiedenen Gefühlen abgelöst worden: Furcht und Erleichterung. Erleichterung, weil sie sich nicht länger der qualvollen Strahlentherapie oder überhaupt einer Therapie aussetzen musste. Als Dr. Spelling ihr erklärt hatte, dass sich neue Tumore an ihrem Hirnstamm gebildet hatten, welche die starken Rückenschmerzen verursachten, hatte sie tief durchgeatmet und sich darauf eingestellt, jede Art von Behandlung zu akzeptieren, die ihr Arzt ihr anbieten konnte. Er brauchte sie jedoch nicht lange davon zu überzeugen, dass eine Fortsetzung der Behandlung wenig bis keinen Nutzen haben würde und die belastenden Nebenwirkungen dadurch nicht zu rechtfertigen wären. Es war vorbei, und genauso hatte es Dr. Spelling in grausamer Umkehrung der Szene, die sie am Anfang ihres Buches beschrieben hatte, formuliert. Der Kampf war vorbei.
Ihre Furcht dagegen hatte nichts mit der Eröffnung zu tun, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte; diese Aussicht trug seltsamerweise zu ihrer Erleichterung bei. Es würde keine Angst vor dem Unbekannten mehr geben und keine Zweifel hinsichtlich der Zukunft. Diese Gewissheit war beruhigend, geradezu befreiend. Das Monster in ihrem Kopf hatte gewonnen, aber sie würde eine gute Verliererin sein.
Die Ursache für ihre Furcht saà auf der anderen Seite der Tür. Die beiden gespannten Gesichter, die sich ihr zuwandten, als sie aus dem Arztzimmer kam, würden keine Erleichterung widerspiegeln.
Ben und Meg standen auf, als sie auf sie zuging. Ben empfing sie mit einem ahnungslosen Lächeln, während ihre Mutter die Warnzeichen sofort erkannte und in dem Umstand, dass Emma jeden Augenkontakt vermied, nur die letzte Bestätigung fand. Meg hatte die kaum merkliche Verschlechterung ihres Zustands in den letzten paar Wochen, die nicht durch die Bestrahlung allein erklärt werden konnte, sehr wohl registriert. Emma hatte sie vor allen erfolgreich verborgen, nur nicht vor ihr.
Auf dem langen Weg vom Sprechzimmer in den Wartebereich hatte sie ein paar Szenarien im Kopf durchgespielt und überlegt, mit der guten Nachricht zu beginnen, dass sie keine Behandlung mehr brauchte, aber das wäre grausam gewesen. Es gab keine Möglichkeit, es ihnen schonend beizubringen. »Ich habe drei neue Tumore«, sagte sie, »die sich sehr schnell gebildet haben. Die einzige Behandlung, die noch in Frage kommt, ist palliativer Art.«
Ein schockiertes Schweigen antwortete ihr. Meg wurde leichenblass und verlor beinahe das Gleichgewicht. »Nein«, rief sie in einem langgezogenen Wimmern und ergriff die stützende Hand, die Emma ihr reichte, mit solcher Kraft, dass Emma ihr letztes bisschen Selbstbeherrschung aufbieten musste, um nicht laut aufzuschreien.
Die Zeit schien stillzustehen, als sie alle drei wie
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