Fuer immer und einen Tag
Bettlaken. Abgesehen von dem Tiefschlaf, der immer kurz vor Morgengrauen kam, hatte sie sich fast die ganze Nacht rastlos herumgewälzt, weil das Räderwerk ihrer Gedanken, noch angetrieben von den Steroiden, einfach nicht stillgestanden hatte.
Mit dem unfehlbaren Gespür für den richtigen Zeitpunkt, das sie in den letzten paar Tagen entwickelt hatte, steckte Meg den Kopf zur Tür herein. »Bist du schon wach?«, flüsterte sie. »Soll ich dir irgendetwas bringen?«
Emma musste sich daran erinnern, dass sie eine erwachsene Frau und kein Schulmädchen war, als sie sich langsam aufsetzte. »Nein, ich stehe jetzt auf«, sagte sie, während ihre Augen sich noch an das Licht gewöhnten. »Du siehst gut aus.«
Meg, die wochenlang müde und abgekämpft gewirkt hatte, ähnelte endlich wieder mehr ihrem alten Selbst. »Ich habe deinen Rat beherzigt und mir ein bisschen Mühe mit meinem ÃuÃeren gegeben. Also, wenn du meinst, dass du ohne mich zurechtkommst, würde ich heute gern mal auf einen Sprung ins Büro gehen«, sagte sie und kam herein, um ihre Verwandlung bewundern zu lassen. Sie trug ein hellgraues Kostüm mit einer pinkfarbenen Seidenbluse. In letzter Zeit hätte man beinahe vergessen können, dass sie eine voll qualifizierte, erfahrene Anwältin war, doch nun hatte der Schatten von einer Frau, der nicht vom Krankenbett der Tochter gewichen war, wieder mehr Substanz bekommen.
»Das höre ich gern«, sagte Emma mit einem zustimmenden Nicken. »Dann bringt wenigstens eine von uns die Brötchen nach Hause.«
»Wir werden schon nicht am Hungertuch nagen«, sagte Meg. »Und ich habe nicht vor, lange zu bleiben. Ich werde erledigen, was zu erledigen ist, und dann ein paar Akten mit nach Hause nehmen. Mit ein bisschen Glück bin ich nachmittags wieder zu Hause.«
»Ich nehme mir vielleicht ein Beispiel an dir und schaue auch mal in der Firma vorbei«, sagte Emma möglichst ungezwungen.
Zu ihrer Ãberraschung lächelte ihre Mutter. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt denken, dass du das schon länger geplant hast.«
»Wer hat es dir verraten?«, fragte Emma mit hochgezogener Augenbraue.
»Gina«, sagten sie dann beide wie aus einem Mund.
»Sie hat es erwähnt, als sie gestern Abend angerufen hat«, gestand Meg. »Es wundert mich trotzdem, dass du es mir jetzt sagst und nicht erst hinterher.«
»Als würde ich das je tun«, erwiderte Emma. »Du würdest schlieÃlich auch nie versuchen, mich davon abzuhalten.«
Meg biss sich auf die Zunge, aber offenbar nicht fest genug. »Es ist nur eine Stippvisite, oder? Bitte lass dich nicht von Alex in eines seiner Projekte mit hineinziehen.«
»Was kann ich dafür, wenn ich so unentbehrlich bin?«
»Ich muss los«, sagte Meg, um einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. »Ich habe eine Liste deiner Medikamente ausgedruckt, was du wann nehmen musst, und deine Pillendöschen sind für den Tag gefüllt. Vergiss nicht, sie mitzunehmen, wenn du gehst.«
»Das hättest du nicht zu machen brauchen«, tadelte Emma.
»Eine Aufgabe weniger für dich.«
Jetzt war es an Emma, sich auf die Zunge zu beiÃen. Sie legte keinen Wert darauf, weniger Aufgaben zu haben. Das Bild von einem Baum, der von den Herbstwinden entlaubt wird, kam ihr wieder in den Sinn; so wurde auch ihr Dasein langsam und stetig reduziert, Blatt für Blatt.
»Kommt dich jemand abholen, oder soll ich dich mitnehmen?«, fragte Meg.
Emma durfte nicht Auto fahren, und Alex hatte frühmorgens einen Termin und konnte nicht kommen, wenn er auch versprochen hatte, sich später im Büro mit ihr zu treffen. Ally hatte sich erboten, sie zu fahren, aber Emma war entschlossen, es aus eigener Kraft zu Bannister zu schaffen. Ihr Anfall war jetzt vier Tage her, und sie hoffte darauf, dass die Anti-Epilepsie-Mittel weiterhin die ehrgeizigen Anstrengungen ihres Tumors, ihr Steine in den Weg zu legen, vereiteln würden.
»Ich schaffe das schon, Mum, raus jetzt mit dir!«, rief sie und scheuchte ihre Mutter aus dem Zimmer, während sie sich innerlich darauf einstellte, es mit der Welt aufzunehmen. Sie warf einen Blick in den Spiegel des Schminktisches. Als sie mit dem Zeigefinger ihre Wangenknochen und die grauen Ringe unter den Augen nachfuhr, wurde ihr klar, dass sie einiges an Arbeit in ihre eigene Verwandlung
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