Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
verwandelt. Die heruntergekommenen Gebäude, die an den Fenstern vorüberzogen, erschienen mir wie in einem verheißungsvollen Glanz. Sobald der Bus gestoppt hatte, sprang ich auf den fleckigen Asphalt und eilte die Straße hinunter. Schon von Weitem leuchtete mir das weiße Chesterton-Zitat auf der Metalltür entgegen. Ich steigerte mein Tempo, aber meine Gedanken flogen noch schneller voraus: Warum war ich in den vergangenen Tagen nur so feige gewesen? Wenn ich wieder vor Rasmus stand und ihm direkt in die Augen sehen konnte, würde es viel leichter sein, mit ihm über alles zu sprechen. Hoffentlich verschwand dann auch meine Angst, dass er mir immer mehr entglitt.
Ich schob mich zwischen zwei parkenden Autos hindurch und wollte gerade die Straße vor Rasmus‘ Wohnhaus überqueren, als eine schlanke, hochgewachsene Gestalt in mein Sichtfeld trat. Sie lief auf die besprayte Tür zu, und goldenes Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her. Einer unerklärlichen Eingebung folgend, duckte ich mich zwischen den Autos, aber so, dass ich die gegenüberliegende Straßenseite noch gut im Blick hatte. Außerdem konnte ich bis hierher das Scheppern hören, als Serafina dreimal mit der flachen Hand gegen das Metall schlug. Nur Sekunden später flog die Tür auf und Rasmus erschien im Rahmen. Er trug das graue Langarm-Shirt, das ich von unserem Abend im Netherworld kannte, und seine Haare waren so zerzaust, als wäre er gerade erst aus dem Bett gestiegen. Am liebsten hätte ich auf der Stelle mein Versteck verlassen und wäre über die Straße zu ihm gelaufen, doch etwas ließ mich immer noch zögern.
Serafina hatte mir den Rücken zugewandt, aber Rasmus‘ Gesicht konnte ich gut erkennen – und auch, dass sich seine Miene beim Anblick des blonden Mädchens veränderte: Allmählich begann er zu strahlen, wie eine Lampe, deren Dimmer nach oben geschraubt wird. Die Mundwinkel wanderten in die Höhe, wobei sich daneben tiefe Grübchen zeigten, und die Augen zogen sich zu zwei Halbmonden zusammen. Bald hatte sein Gesicht einen derart freudigen Ausdruck angenommen, dass man einfach mitlächeln musste … es sei denn, man beobachtete aus einigen Metern Entfernung, wie ein anderes Mädchen Anlass zu solcher Begeisterung gab. Eiseskälte kroch in meine Brust, während Rasmus die Arme ausbreitete und sie um Serafinas Körper schlang. Lachend hob sie die Füße vom Boden und warf den Kopf in den Nacken. Nachdem Rasmus sie wieder abgesetzt hatte, trat sie nicht etwa zurück, sondern schmiegte sich weiter an ihn. Reglos lagen sich die beiden in den Armen, als hätten sie alles um sich herum vergessen.
Meine Welt begann sich zu drehen, rasend schnell, und kam dann abrupt zum Stillstand. Vielleicht beginnt so eine Panikattacke , überlegte ich kurz und wunderte mich darüber, dass ich in dieser Situation etwas Derartiges denken konnte. Es war, als hätte sich mein Ich aufgesplittet, und ein Teil von mir beharrte immer noch darauf, dass alles gut werden würde. Wie von Fäden gezogen erhob ich mich und ging auf die beiden zu, die so ineinander verschlungen waren, dass sie mich zuerst gar nicht bemerkten.
„Rasmus?“, brachte ich mit dünner Stimme hervor. Es klang wie eine Frage, obwohl es eigentlich nichts mehr zu fragen gab. Die letzten Zweifel wurden durch seinen erschrockenen Gesichtsausdruck beseitigt.
„Was machst du denn hier?“ Wie aus einem Beschützerinstinkt heraus schob er Serafina hinter seinen Rücken ins Innere des Apartments.
„Was ich …“, plapperte ich nach, und dann verabschiedete sich der kleine Teil von mir, der bis dahin noch auf ein Wunder gehofft hatte. Plötzlich war meine Stimme wieder fest. „Eigentlich wollte ich dich besuchen, aber es scheint ein unpassender Zeitpunkt für euch beide zu sein.“
Ich machte auf dem Absatz kehrt und zwang mich, dabei den Kopf hochzuhalten. Während ich gegen die Hitze in meinen Augen ankämpfte, sagte ich mir, dass ich nur wenige Minuten durchstehen musste. Sobald ich in die nächste Gasse eingebogen war, durfte ich weinen, zusammenbrechen – alles, nur nicht jetzt. Meine Selbstbeherrschung zerbröckelte jedoch wie getrockneter Lehm, als ich einen festen Griff um meinen Arm spürte. Obwohl meine Sicht bereits verschwamm, drehte ich mich zu Rasmus um. Ich bemerkte, dass er keine Schuhe trug, und mit den vor Entsetzen geweiteten Augen wirkte er jünger als sonst. Dieses Bild war für meine Aufgewühltheit wie Sauerstoff für ein Feuer. Ich begann zu zittern.
Kaum
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