Fuer Wunder ist es nie zu spaet
schließt die Augen, wackelt ein wenig
mit den Zehen, blinzelt . . .
»Aber ich will nicht hinfahren. Es ist mir egal, ob er stirbt. Ich
kann das nicht. Was soll das heißen, für mein eigenes Bestes? Was wissen Sie
schon von meinem eigenen Besten? Kennen wir uns? Nein, genau.«
Wieder Stille. Jens sieht sich um. Es ist niemand da.
Das war Karins Stimme. Die erkennt er, da würde er sich nie
täuschen. Sie hat geweint. Jetzt hört man nur noch ein Schluchzen. Irgendwo in
dem System aus verwirrenden Gängen sitzt sie ganz allein und schluchzt
herzzerreißend. Und es ist ihr egal, ob jemand stirbt.
Jens steht auf. Setzt sich wieder, steht auf, marschiert im Kies auf
und ab, fährt sich mit der Hand durchs Haar, setzt sich wieder hin. Alles ist
so schwierig. Soll er sie suchen? Würde sie das wollen? Nein, bestimmt nicht.
Das würde sie am allerwenigsten auf der ganzen Welt wollen. Jens setzt sich
wieder. Hört die rasselnden Atemzüge. Nein, so geht es nicht. Er steht wieder
auf.
Ganz egal, er kann doch nicht einfach dasitzen und zuhören.
Plötzlich hört er gar kein Schluchzen mehr, dann wieder ist es ganz nah. Haben
die vielleicht, um es besonders kompliziert zu machen, Geräuschtunnel in das
Gängesystem eingebaut? Und verdammt, jetzt hat er vergessen, wo er
hereingekommen ist. Wie soll er je wieder hinausfinden? Mist.
Das Labyrinth ist im Laufe der Jahre sehr hoch gewachsen, drei Meter
hohe Hainbuchen ragen zum Himmel auf, Jens biegt rechts ab, dann links,
geradeaus, wieder rechts – und da sitzt sie. Karin. Nur im Badeanzug, direkt
auf dem Kies, mit hängendem Kopf. Das Handy liegt auf der Erde. Jens räuspert sich.
»Hallo.«
Karin sieht auf, ohne seinen Gruß zu erwidern. Lässt den Kopf wieder
fallen. Jens macht ein paar vorsichtige Schritte und setzt sich in ungefähr
einem Meter Abstand von Karin hin.
»Verdammt, Jens, was machst du eigentlich hier?«
»Ich bin nur ein bisschen rumspaziert und habe mich an diesem
Labyrinth erfreut und . . .«
»Ach was, du weißt genau, was ich meine. Hier im
Schwimmkurs! «
»Schwimmen lernen . . .«
»Jetzt hör doch auf. Versuch bloß nicht, mich zu verarschen, ja?«
»Was ist passiert?«
»Ja verdammt, was glaubst du denn?«
»Ich dachte nur . . .«
»Bist du eigentlich total bescheuert? Warum solltest du sonst hier
sein? Perennen. Ja, das hätte man sich ja denken können.«
»Du siehst gut aus. Du hast schöne Kleider und schöne Haare.
Superschön. Wirklich.«
»Erstaunt dich das, oder was?«
»Ich fand dich schon immer schön.«
»Ja, danke, das weiß ich. Dass du das fandest.«
Jens verstummt und denkt nach. Karins Handy klingelt wieder.
»Nein, ich werde nicht rangehen«, sagt sie. »Und rede über diese
Sache hier gefälligst nicht mit den anderen. Du hältst die Klappe, klar?«
»Okay.«
Karin lässt den Kopf wieder hängen. Das Handy klingelt pausenlos.
Jens weiß nicht so recht, was er tun soll.
»Du weißt ja . . . na ja . . . trotz allem kannst du mit mir reden,
wenn du es brauchst.«
»Natürlich weiß ich das, verdammt. Jetzt komm bloß nicht an und gib
hier den Psychologen.«
»So habe ich das nicht gemeint.«
»Was meinst du dann, Jens? Das wüsste ich wirklich gern. Ich komme
hierher, um schwimmen zu lernen und eine tolle Reportage über diese Insel und
Pelle zu machen. Aber du? Warum bist du hier? Was? Ich hätte niemals hierherfahren
sollen. Ich wusste es. Ich wusste es! «
Das Handy hört auf zu klingeln. Jens steht auf und klopft vorsichtig
seine Badehose ab.
»Ich lass dich ja schon in Ruhe.«
Alex joggt auf der Stelle, um in Gang zu kommen. Auf und
ab, vor und zurück, Arme strecken. Dann nimmt er die schöne Strecke, die am
Schloss beginnt, erst durch die Wiesen führt und dann am Wasser entlang.
Josefin hat ihm den Weg erklärt. Die Runde ist ungefähr zehn Kilometer lang.
Sowie er ein bisschen vom Schloss entfernt ist, zieht er sein Shirt
aus und läuft mit nacktem Oberkörper. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Laufen und
gleichzeitig ein Sonnenbad nehmen. Nie eine Gelegenheit zum Braunwerden auslassen.
Alex entspannt sich. Schön, mal was zu machen, was er wirklich kann,
und nicht nur mit den anderen Typen auf dem Boden zu liegen und die Beine vor-
und zurückkreisen zu lassen. Er wird schnell schwimmen lernen, das wird
höchstens eine Woche brauchen. Dann kann er wieder weg. Bücklingsalat. Puh, war
das eklig. Aber die Stullen waren gut.
Die anderen waren heute irgendwie komisch drauf. Von Pelle sieht
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