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Fuer Wunder ist es nie zu spaet

Fuer Wunder ist es nie zu spaet

Titel: Fuer Wunder ist es nie zu spaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Hamberg
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Eigentlich wollte ich mir nur die
Fische ansehen, dabei bin ich reingefallen. Das Wasser war nicht kalt, sondern
warm oder zumindest lauwarm. Ich habe versucht, mich an die Oberfläche zu
kämpfen, ich schrie, strampelte, winkte. Und dann hörte ich, wie sie lachten.
Vielleicht haben sie mich gesehen, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht.
Plötzlich spürte ich einen der Pfosten vom Steg, und an dem habe ich mich
festgeklammert. Der war so glitschig und eklig. Ich musste an Schlangen denken,
ich war überzeugt davon, dass es dort Schlangen gab. Aber ich hielt mich so
lange fest, bis Anita kam und mich holte. Sie kam auf den Steg, um eine zu
rauchen, und da sah sie mich da unten im Wasser.«
    Jens liegt noch im Gras. Er hat die Augen wieder geschlossen.
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was bei mir zu Hause los war.
Unter der Woche ging es ja noch, da war er bei der Arbeit, und natürlich hat er
abends getrunken, aber immerhin herrschte eine gewisse Ordnung. Aber die
Wochenenden . . . Und die Ferien. Wenn er die ganze Zeit zu Hause war und mit
seinen verdammten Saufkumpanen betrunken in der Wohnung lag, wusste ich gar
nicht, wohin. Den Sommer über war ja die ganze Stadt wie ausgestorben, alle
anderen waren in ihren Sommerhäusern oder machten tolle Ausflüge. Nur ich saß
allein auf dem Marktplatz rum. So war es immer in den Ferien. Erst habe ich
ständig gelesen, um der Realität zu entkommen, aber das funktionierte auf Dauer
nicht. Als ich älter wurde, fühlte ich im ganzen Körper diesen Schmerz, und ich
war so allein. Eigentlich hatte ich nur meinen Körper, und den habe ich an
einen nach dem anderen verliehen, das hat den Schmerz ein bisschen betäubt.
Beim ersten Mal war ich erst dreizehn.«
    Jens wehrt sich gegen den Reflex, sich die Ohren zuzuhalten, die
Hände ganz fest auf die Ohren zu pressen, sodass nichts von dem, was Karin
sagt, eindringen kann. Er will nicht hören, wie sie sich selbst an alle
weggegeben hat, wie sie das Schöne, das sie hatte, einfach verplempert hat. Und
er will nicht hören, dass er es nicht gesehen oder begriffen hat. Es klingt,
als hätte sie auf einem anderen Planeten gelebt.
    »Ich habe mich auch geprügelt, wusstest du das?«
    »Nein.«
    »Doch. Ich war so wütend, so wahnsinnig wütend. Eigentlich wollte
ich meinen Vater schlagen, aber das ging nicht, und deshalb habe ich auf andere
eingedroschen.«
    Schweigen.
    »Jetzt stirbt er.«
    »Wer?«
    »Kjell. Mein Vater. Er liegt im Krankenhaus von Duvköping und
schreit meinen Namen. Die rufen ununterbrochen an, aber ich kann nicht, ich
will nicht. Er muss allein sterben, genauso, wie ich allein leben muss. Er soll
zur Hölle fahren.«
    »Glaubst du nicht, dass es gut wäre, hinzugehen?«
    »Nein, stell dir vor, das glaube ich nicht. Und darüber will ich
nicht diskutieren.«
    Schweigen. Karin stupst Jens mit dem Fuß an.
    »Dich habe ich auch einmal geschlagen, erinnerst du dich?«
    »Ja.«
    »Ich war so wahnsinnig eifersüchtig, oder vielleicht eher neidisch,
weil du, wo du doch so verdammt spießig warst, trotzdem Selbstbewusstsein genug
hattest, du selbst zu sein. Du hast deine Gewächshäuser gebaut, Pflanzen
gezüchtet und Geld verdient, und du warst zufrieden. Ich sah gut aus, hatte
eine Menge Typen und war einsam und unzufrieden und traurig und . . . Aber ich
habe mich dafür entschuldigt, oder?«
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Doch, eines Abends bin ich zu dir gekommen und habe mich
entschuldigt und gefragt, ob du mit mir schlafen willst. Aber du hast nur
angefangen zu heulen. Jetzt im Nachhinein kann ich verstehen, warum.«
    Schweigen. Jens hat die Augen immer noch geschlossen, sein Körper
ruht im Gras. Karin stößt ihn noch einmal mit dem Fuß an.
    »Lebst du mit jemandem zusammen?«
    »Nein.«
    »Bist du glücklich?«
    »Durchaus. Und du?«
    »Wie wirke ich denn?« Karin lacht ein freudloses Lachen und fährt
fort: »Ich trinke heimlich. Wenn der Abend kommt, dann brauche ich Alkohol. Es
ist fast wie ein Orgasmus, wenn ich endlich das Glas in der Hand halte. Als
würde in meiner Brust eine Bombe ticken, die endlich explodieren darf. Und dann
kehrt so eine Ruhe ein.«
    Jens denkt nach. Atmet tief den Duft der Wiesenblumen ein. Karin
steht auf und bürstet den Bademantel ab.
    »Wir können jetzt mit den Wasserübungen anfangen. Aber du musst mir
versprechen, die ganze Zeit bei mir zu bleiben, ist das klar?«
    »Unter einer Bedingung, nämlich dass du nach Duvköping fährst und
dich von deinem Vater

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