Fürchte deinen Nächsten!
können.«
Marcella Ash lächelte. »Das haben Sie gut gesagt, und ich denke, daß es auch so sein muß. Ich…«
Suko entschuldigte sich, weil sein Handy anschlug. Er meldete sich und hörte zu. Marcella beobachtete ihn. Sie sah, wie sich seine freie Hand zur Faust zusammenballte und wußte, daß etwas passiert sein mußte. Er sprach mit seinem Vorgesetzten, Sir James, sagte nicht viel und bedankte sich schließlich für die Informationen. Dann steckte er das Handy wieder in die Tasche. Er war sehr nachdenklich geworden und drehte sich zu Marcella hin um.
»Was ist passiert?« fragte sie.
Suko ließ sich mit der Antwort Zeit. »Etwas Furchtbares, das John leider nicht hat verhindern können.«
»Wieder ein Mord?«
»Ja.«
»Wer?«
»Alex Rankin!«
Marcella schwieg einige Sekunden. Sie war einfach nicht mehr in der Lage, sprechen zu können. In dieser Zeitspanne hatte sie das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen, und vor ihren Augen drehte sich alles. Langsam ging sie bis zu ihrem Schreibtisch zurück, um sich dort abzustützen.
Suko gab ihr die Zeit, den Schock zu überwinden. Er sah, wie es in ihrem Gesicht arbeitete, und sie stellte dann mit leiser Stimme eine Frage. »Wo ist es passiert?«
»In einem Park an der Themse. Im Battersea Park, um genau zu sein. Er wurde so hingerichtet wie auch die vier anderen Opfer zuvor. Zwei Jogger fanden ihn. Sie stehen unter Schock.«
Die Psychologin nickte vor sich hin. »Weiß es John Sinclair schon?« fragte sie tonlos.
»Ja, Sir James hat ihn bereits benachrichtigt.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hatte Kontakt.«
»Bitte?«
»Sie haben richtig gehört. John hat Kontakt gehabt. Und zwar mit dem Killer. Aber er konnte ihn nicht fassen, denn Delany hat seinen Vorteil ausgespielt. Er war unsichtbar, obwohl er seine Waffe sichtbar gemacht hat. John konnte ihr im letzten Augenblick entkommen. Die Rachetour des Psychopathen geht weiter.«
Marcella schüttelte sich und sagte nichts. Sie ließ sich auf ihren ledernen Drehstuhl fallen, zog die Schreibtischschublade auf und holte die Flasche Whisky und ein Glas hervor. »Möchten Sie auch einen Schluck, Suko?«
»Nein, danke, ich nicht.«
»Gut, aber ich muß ihn einfach haben.« Sie genehmigte sich einen Doppelten und schüttelte sich. »Man kann es nicht fassen, aber es ist wahr, und wir müssen uns damit abfinden, daß wir die nächsten auf seiner Liste sind. Ebenso wie John Sinclair.«
»Davon gehen wir aus.«
Sie schob das leere Glas von sich weg, als ekelte sie sich davor. »Er wird uns auf der Spur bleiben oder mir. Da er John Sinclair nicht ermorden konnte, wird er sich auf uns konzentrieren, weil er davon ausgeht, daß wir die leichteren Opfer sind.«
»Das könnte man so sehen.«
Marcella stand auf. »Aber ich will nicht sterben«, sagte sie. »Nicht so. Ich fühle mich noch verdammt jung. Ich will auch nicht in seine Falle laufen. Er ist unsichtbar, mein Gott. Möglicherweise ist er schon hier, und wir sehen ihn nicht.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Suko. »Etwas hätten wir schon gemerkt, da bin ich mir sicher.«
»Wie dem auch sei, ich bin es nicht. Und ich habe auch nicht vor, mich weiterhin in geschlossenen Räumen aufzuhalten.«
Suko nahm es ruhig hin. »Haben Sie schon an eine andere Lösung gedacht, Marcella?«
»Ja, das habe ich«, sagte sie leise. »Wir hatten vor, in meine Wohnung zu fahren und dort abzuwarten. Das will ich nicht mehr. Das kann ich auch nicht. Das bringe ich einfach nicht über mich. Ich würde mir in einem geschlossenen Raum wie in einem Gefängnis Vorkommen. Verstehen Sie das, Suko?«
»Natürlich. Wissen Sie einen anderen Ort? Ein Lokal vielleicht oder einen Pub?«
»Nein, da auch nicht. Da käme ich vom Regen in die Traufe. Ich wäre auch weiterhin in einem geschlossenen Raum und würde mich auch von den anderen Gästen nicht beschützt fühlen. Wenn Delany uns verfolgt, möchte ich irgendwo hin, wo ihn die Umgebung stört und ihm nicht ganz geheuer ist. Das wäre eine Möglichkeit.« Sie schnalzte mit der Zunge und sagte leise: »Und auch, wo Menschen sind.«
»Haben Sie da schon eine Vorstellung?« erkundigte sich Suko.
»Ja, die habe ich, aber lachen Sie nicht.«
»Nein, nein, bestimmt nicht.«
»Ich möchte in den Trubel. Ich will mich ablenken. Ich will eine gewisse, wenn auch trügerische Sicherheit haben. Bald ist Weihnachten, man kann es ja in der Stadt nicht übersehen. Ab morgen sind auch hier im Garten der Klinik einige Bäume geschmückt, und zu
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