Fürchte deinen Nächsten!
Zumindest sah der Gegenstand auf den ersten Blick hin so aus.
Nur war es leider kein Propeller, sondern die Machete, die sich gut zwei Meter über meinem Kopf drehte. Durch die Fliehkraft hatte sich der eine oder andere Tropfen Blut gelöst und auch in meinem Gesicht ein Ziel gefunden.
Die eigentliche Gefahr erkannte ich erst, nachdem der Schock vorbei war. Entweder hielt Delany sie als Unsichtbarer fest oder er lenkte sie dank seiner ungewöhnlichen Kräfte fern. Alles war möglich und auch, daß sich die Waffe plötzlich löste und ein Ziel fand.
Sie fiel.
Ich sprang zur Seite. Mitten aus der Drehung hervor war sie nach unten gekippt und fegte auf mich zu. Durch den raschen Sprung hatte ich mich in Sicherheit bringen können. Das Metall klirrte gegen die Wand, und der leicht singende Ton hallte wie ein Echo nach.
Ich rutschte auf dem glatten Boden aus, hielt mich am Geländer fest und sah, wie die Machete wieder in die Höhe sprang. Ich verfolgte sehr genau ihren Weg und machte auch sehr schwach eine Gestalt oder einen Umriß aus.
Es war nicht möglich, aber der Weg der Machete kam mir schon verdächtig vor. Sie sah so aus, als wäre sie von einer Hand umklammert und in die Höhe gehoben worden.
Ich riskierte den Angriff. Das Kreuz riß ich in dem Moment aus der Tasche, als sich die scharfe Seite der Waffe mir zudrehte. Sie brauchte nur die Richtung beizubehalten, und ich war getroffen.
Ich warf das Kreuz!
Die Machete wollte ich damit nicht treffen. Ich ging einfach mal davon aus, daß sie von dem Unsichtbaren gehalten wurde und sich nicht selbständig gemacht hatte.
Das Kreuz war in Höhe der Waffe, als ich das kurze Aufblitzen sah. Es mußte die Aura getroffen haben, dann hörte ich einen wilden und wütenden Schrei.
Die Mordwaffe zuckte in die Höhe, ein geknurrter Fluch erklang, die blitzende Schneide überschlug sich noch in der Luft, fiel wieder nach unten, aber nicht mehr auf mich zu, sondern raste in den Treppenschacht hinein, wobei sie zielsicher die schmale Lücke traf und meinen Blicken entwischte.
Das Kreuz lag auf dem Boden. Neben der Tür malte es sich schimmernd ab. Ich lief noch nicht hin, sondern rief nach dem verfluchten Killer. Er gab mir sogar eine Antwort. Diesmal kam die Stimme von weit her. »Denk daran, Sinclair! Fürchte deinen Nächsten. Fürchte den Verräter und den Erlöser…!« Es folgte ein Lachen, das sich sehr schnell verflüchtigte, als wollte es in die Unendlichkeit hineinfliehen.
Delany war verschwunden. Leider nicht für immer. Aber so schlecht standen meine Chancen auch nicht.
Als ich das Kreuz aufhob, lächelte ich…
***
Es war mehr ein wütendes und wissendes Lächeln gewesen und bestimmt kein fröhliches. Dafür gab es auch keinen Grund, denn ich bezweifelte, daß Delany gelogen hatte, was Alex Rankin anging. Er hatte Marcella, Suko und mich überlistet und sich als erstes das schwächste Glied der Kette vorgenommen. Rankin mußte gedanklich bereits mit dem Fall abgeschlossen haben, um so härter hatte es ihn dann erwischt. Ich kannte ihn kaum, aber ich konnte mich in seine Lage hineinversetzen. Was mußte er alles durchlitten haben, als diese Bestie plötzlich vor ihm auftauchte und so brutal zuschlug. Für ihn konnte ich nur hoffen, daß er nicht zu lange gelitten hatte.
Ich traute dem Frieden nicht und zog die Tür sehr behutsam auf. Delany traute ich alles zu. Der konnte durchaus im Flur lauern und auf einen schwachen Moment meinerseits lauern.
Kein Feind hielt die Stellung. Ich blickte nur in den normalen Gang hinein. Bestimmt hatte er sich nicht verändert, er kam mir nach meinem nervenaufreibenden Erlebnis nur so vor. Wie ein Schlauch in eine düstere Zukunft, die ich lieber nicht betreten wollte.
Ich konnte es nicht fassen, mir fehlte einfach die Erklärung für dieses Phänomen. Beruhte es auf reiner Magie? Spielte eine aus dem Ruder gelaufene oder bewußt gelaufene Gentechnik auch eine Rolle? Vielleicht beides? Oder war dieser Judas Delany letztendlich der Teufel in einer seiner neuen Gestalten oder Verkleidungen? Alles konnte, mußte aber nicht sein.
Es erfolgte kein Angriff. Der Flur blieb leer. Die Mieter blieben in ihren Wohnungen. Hin und wieder hörte ich Geräusche. Zumeist stammten sie aus den Fernsehapparaten.
Ich erreichte den Lift und blieb davor stehen. Kochdunst wehte gegen meine Nase. Die eloxierte Tür des Aufzugs schimmerte wie ein matter Spiegel, in dem sich schwach meine Gestalt abmalte. Dann schoben sich die beiden
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