Fürchte dich nicht!
wird von der Polizei überwacht«, erklärte Geis ohne Umschweife. »Wir müssen uns jetzt entscheiden: Lassen wir uns festnehmen, in der Hoffnung, dass die zuständigen Stellen mit uns kooperieren? Oder machen wir auf eigene Faust weiter? Dann haben wir nur eine Chance, wenn wir sofort verschwinden.«
Eines musste man Viola lassen, sie verfügte zu jeder Tages- und Nachtzeit über einen wachen Verstand und verschwendete keine Zeit mit überflüssigen Kommentaren. In diesem Fall brauchte sie drei Sekunden, um zu einer Entscheidung zu kommen: »Verschwinden.«
»Gut. Dann zieh dich an und pack nur die notwendigsten Sachen ein. Wir treffen uns in drei Minuten auf dem Flur. Ach ja.« Er blieb an der Tür stehen. »Und schalt dein Handy aus! Ich nehme an, dass sie uns geortet haben.«
Sie brauchte vier Minuten, aber auch das war eine respektable Zeit. Geis wartete schon an der Treppe. Eine Etage tiefer stand der Wagen der Zimmermädchen auf dem Flur, beladen mit sauberen und benutzten Handtüchern.
»Moment!«, flüsterte Geis, vergewisserte sich, dass der Wagen unbeaufsichtigt war und schob sein Handy zwischen die dreckigen Handtücher. »Das wird sie eine Weile beschäftigen.«
Viola schien sich voll und ganz auf ihn zu verlassen. Trotz aller Anspannung machte ihn das ein wenig stolz. Blieb zu hoffen, dass sein Plan aufging.
Vor der Küche brachte er seinen Mund in die Nähe ihres Ohres. Sie roch nach einer Mischung aus Seife und Schweiß. Einen Moment lang spürte er das Verlangen, ihr auf den Hals zu küssen. »Tu so, als sei es das Normalste der Welt. Bloß nicht den Eindruck erwecken, dass wir fliehen.«
Viola nickte.
Die Köche machten große Augen, als sie hereinkamen.
»Entschuldigung!«, lachte Geis. »Wir müssen den Hinterausgang nehmen. Vorne wird gedreht, ein Krimi, glaube ich. Das Filmteam hat den Bürgersteig abgesperrt.«
Schon hatte er die Köche auf seiner Seite. »Das passiert in den letzten Jahren dauernd«, sagte der älteste der Mützenträger und zeigte mit dem Messer auf eine Tür. »Da kommen Sie zum Hinterhof.«
Der gepflasterte Hinterhof führte auf eine schmale Seitenstraße. Geis stellte sich hinter den steinernen Torpfosten und checkte die Straße. Vor einer Garage parkte ein Wagen mit zwei Insassen, die freie Sicht auf die Toreinfahrt hatten.
»Scheiße!« Er drehte sich um. »Wir hängen fest. Es sei denn …«, sein Blick fiel auf zwei Kombis mit aufgeklebtem Hotelschriftzug, »… wir nehmen ein Auto.«
»Das wäre Diebstahl – oder nicht?«
»Richtig. Noch können wir aufgeben.«
Violas Augen glitzerten. »Und wie willst du das Autoschloss knacken?«
Zu Geis’ Erleichterung war das gar nicht notwendig, in einem der Wagen steckte der Schlüssel. »Leg dich flach auf den Rücksitz! Sie warten auf zwei Personen, also dürfen sie nur eine sehen.«
Es klappte. Das Observationsteam machte keine Anstalten, ihnen zu folgen. Ohne Schwierigkeiten erreichte Geis die vierspurige Straße, die Münster in Nord-Süd-Richtung teilte. Als auf der rechten Seite der Aasee zu sehen war, kletterte Viola auf den Beifahrersitz. Sie hatte sich gerade angeschnallt, da kamen ihnen auf der Gegenfahrbahn zwei Limousinen mit jeweils vier schwarz gekleideten Sturmhaubenträgern entgegen.
»SEK«, sagte Geis.
»Und das wegen uns?«, fragte Viola ungläubig.
»Offenbar sind wir zu Staatsfeinden aufgestiegen.«
Sie stellten den Hotelwagen auf einem Parkplatz ab und nahmen ein Taxi zu einem Autoverleiher, bei dem Geis einen unauffälligen Mittelklassewagen mietete. Einen großen Vorsprung brachte ihnen das nicht, in ein paar Stunden würde man den Verleiher aufgespürt und das Kennzeichen des Wagens zur Fahndung ausgeschrieben haben. Falls die ganze Aktion noch ein glückliches Ende finden sollte, mussten sie im Haus des Professors Beweise dafür finden, dass Wesseling an der Zecken-Attacke beteiligt war. Sonst würde Geis nicht nur aus dem Staatsdienst entlassen werden und seine Pensionsansprüche verlieren, sondern auch noch ins Gefängnis gehen. Aber daran wollte er im Moment nicht denken.
»Wohin fahren wir?«, fragte Viola.
Geis hatte den Wagen auf die Stadtautobahn gelenkt und folgte den Hinweisschildern Richtung Warendorf. »Ein Freund hat mir von einem Hotel in der Nähe von Telgte erzählt. Sehr abgelegen, mitten im Wald.«
»Können wir nicht einfach im Auto sitzen bleiben und warten, bis es dunkel wird.« Viola klang müde, der Adrenalinkick von eben schlug nun ins Gegenteil
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