Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
Vom Netzwerk:
Flip-Flops leise schmatzende Geräusche von sich.
    In der Ferne hörten wir das durchdringende Pfeifen eines Zugs, und ich sah, wie sich Jacks schmale Schultern versteiften. Mittlerweile hatten wir das Stadtzentrum hinter uns gelassen und gingen den Weg an der brachliegenden Wiese entlang, der von der Glenship Street abzweigte und parallel zur Bahnstrecke verlief. Jack hatte immer noch kein Wort gesagt und allmählich wurde ich nervös.
    »Was hast du denn gefunden, Jack?«
    Aber er schüttelte bloß den Kopf. Wir liefen schweigend weiter, und bald hörte ich das Plätschern des Bachs, der um die Stadt herumfloss und ein paar Meilen entfernt ins Meer mündete. Ich erschlug eine Stechmücke und betrachtete angewidert den Blutstreifen, den sie auf meinem Arm hinterlassen hatte.
    Als ich aufschaute, sah ich, dass Jack stehen geblieben war und auf einen von Bäumen gesäumten Abschnitt auf der gegenüberliegenden Seite der Gleise zeigte.
    Jack griff nach meiner Hand und wir überquerten gemeinsam die Schienen. Ich lauschte nach dem Zug, hörte jedoch nichts außer dem melancholischen Gurren der Carolinatauben in den Bäumen. Jack zog mich den Abhang hinab und wir schlitterten über das feuchte Gras.
    Als wir unten waren, sah ich Jack, der plötzlich stehen geblieben war, fragend an. Seine roten Haare funkelten in der Sonne und sein Gesicht war blass.
    Und dann sah ich es selbst.
    Sah ihn .
    Schwarze, zerzauste Haare, die von geronnenem Blut verklebt waren. Das nahm ich als Erstes wahr. Der Junge lag im Schatten der Bäume, aber sein Gesicht wurde von der Sonne angestrahlt. Ich taumelte und wäre fast auf seine Hand getreten.
    Mir entfuhr ein Wimmern.
    »Ich glaube, er ist von einem Zug erfasst und weggeschleudert worden«, sagte Jack leise. »Wahrscheinlich hat ihn der Lokführer gar nicht gesehen.«
    Ich antwortete nicht. Mein Blick war wie gefangen von den Augen des toten Jungen, in denen so viel Wut gelegen hatte, als River ihn auf dem Friedhof gegen die Gruft gedrückt hatte. Jetzt waren sie weit aufgerissen, starr und tot. Tot, tot, tot. Das hier war etwas anderes, als mit anzusehen, wie Daniel Leap sich die Kehle aufgeschlitzt hatte. Er war noch ein Kind gewesen. Sein Kopf war in einem entsetzlich unnatürlichen Winkel verdreht, die Haut fahlgrau, fast violett, die schwarzen Haare starrten vor Dreck, Blätter hatten sich darin verfangen, und überall war Blut und … oh Gott, direkt vor mir lag ein toter Junge … so nah, dass ich ihn hätte berühren können …
    »Glaubst du, das war River, Violet? Hat er ihn dazu gebracht, vor den Zug zu laufen? Ich habe es noch niemand anderem erzählt, weil ich nicht will, dass River Schwierigkeiten bekommt. Erst wollte ich die Polizei holen, aber dann dachte ich: Was, wenn River das getan hat?«
    Ich ließ Jacks Hand los, drehte mich weg und übergab mich.
    Jack streichelte mir beruhigend über den Rücken, während ich würgte und immer weiter würgte. Und selbst als nichts mehr da war, was ich hätte herauswürgen können, blieb ich gebückt stehen und zitterte wie die Blätter in den Bäumen, die den Körper des toten Jungen verbargen.
    Als ich mich endlich wieder aufrichten konnte, ging ich zum Bach, kniete mich an sein schlammiges Ufer, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und spülte mir den Mund aus. Danach ging ich zu Jack und der Leiche zurück.
    »River hat sich nicht mehr in der Gewalt, Jack. Ich bin mir jetzt sicher, dass er es war, der auf dem Dachboden gelacht hat. Er ist zu einer Gefahr geworden – für mich, für dich, für alle. Und deswegen … deswegen musst du mir genau zuhören. Du gehst auf der Stelle ins Café oder in die Bücherei und bleibst dort, bis ich dich holen komme. Ich möchte nicht, dass du in diese Sache mit hineingezogen wirst. In der Zwischenzeit laufe ich zu Sunshine und rufe von dort aus die Polizei an.« Ich wischte mir mit dem Handrücken den kalten Schweiß von der Stirn. Oder war es das Wasser aus dem Bach, das ich mir ins Gesicht gespritzt hatte?
    »Worauf wartest du?«, fragte ich, als Jack sich nicht von der Stelle rührte und mich erwartungsvoll ansah.
    »Kommst du denn nicht mit?« Seine Stimme klang ganz klein und besorgt.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bleibe noch ein paar Minuten hier. Es ist besser, wenn man uns in der Stadt nicht zusammen sieht. Ich will nicht, dass irgendjemand denkt, du hättest etwas mit … dieser Sache hier zu tun.«
    Jack sah mich noch einen Augenblick schweigend an, dann nickte er und ging.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher