Fuerstin der Bettler
einen Stamm. So saß sie da und sann vor sich hin. Zunächst hielt die Anspannung Hannah noch wach, doch irgendwann fielen ihr die Augen zu, nachdem sich am Haus nichts rührte, und sie schlief ein.
Geweckt wurde sie durch einen Sonnenstrahl, der schräg von oben durch das Blätterdach fiel und sich auf ihrem Gesicht niedergelassen hatte. Ein kurzer Blick genügte, und die Glocke vom Perlach, dem Stadtturm, bestätigte gleich darauf ihre Vermutung. Es schlug zu Mittag. Sie hockten demnach seit einer guten Stunde in diesem Gestrüpp. Die Liss hatte sich an Hannahs Schulter gelehnt.
Jetzt rüttelte sie Hannah, als gelte es Pflaumen von einem Baum zu schütteln.
»Ist ja gut, ich bin wach!«, herrschte Hannah sie an, verstummte jedoch sofort wieder.
»Schau zum ...!«, war alles, was die Liss sagen konnte, danach verschlug es auch ihr die Sprache.
Hannah versuchte in die Hocke zu kommen, um besser sehen zu können, doch ihr rechtes Bein versagte ihr den Dienst. Es war wie taub. Erst als sie sich anders hinsetzte, begann das Blut wieder zu fließen, und es prickelte derart schmerzhaft, dass sie am liebsten laut geschrien hätte.
Doch das, was sie jetzt sah, nahm ihr jeglichen Schmerz.
»Maria Muttergottes, erbarme Dich unser!«, entfuhr es der Schwarzen Liss. »Das ist ein Teufel!«
Auch Hannah nahm der Anblick zuerst den Atem. Die Liss hatte recht, musste recht haben. Aus der Tür des Hauses tobte auf allen vieren ein Wesen, das halb Mensch, halb ... sie fand keinen Vergleich dafür: Für einen Bären war das Untier zu schlank, und die Gliedmaßen waren zu lang, für einen Menschen aber war es zu klein und zu sehr behaart. Außerdem hatte das Wesen eine stark vorstehende Schnauze. Ein Hund konnte es aber auch nicht sein, denn es lief nicht nur auf allen vier Beinen, sondern auch auf zweien, und es besaß Hände zum Greifen, keine Pfoten mit Krallen – es hatte von allem etwas: von Bär, Mensch und Hund.
Der Dürre führte das Wesen an einer Leine, die es um den Hals gelegt hatte. Es schien sich vor dem Licht zu ängstigen, denn es schirmte seine kleinen dunklen Augen vor der Sonne ab. Dann begann es zu kreischen, so wie das Wesen gekreischt hatte, das sie aus dem Haus vertrieben hatte. Es war wie ein hässliches Lachen, das sich steigerte, als wäre das Untier wahnsinnig geworden, und wie wahnsinnig geworden verzog es auch das Gesicht und entblößte dabei vier gewaltige Reißzähne.
Der Dürre blieb in der Tür stehen, die Leine in der Hand, während der haarige Teufel sich gebärdete, als wäre er völlig von Sinnen. Er riss die Arme in die Höhe und warf Unrat in die Luft, er hüpfte und sprang und machte Überschläge.
Hannah legte die Hand auf Liss’ Arm. »Die Schwarze Kapuze beobachtet uns wieder. Siehst du?«
Das Pergament war erneut von der Fensteröffnung entfernt worden, und obwohl nichts dahinter zu sehen war, glaubte Hannah doch die weißgesichtige Kapuzengestalt zu erkennen.
»Was ist das für ein Mensch?«, fragte Hannah, wagte ihre Frage aber nur zu hauchen.
»Ein Weißer«, entgegnete die Schwarze Liss. »Ein Mensch so weiß wie Schnee. Eine Laune der Natur.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich einmal einem begegnet bin«, sagte sie, und Hannah hörte, wie ihre Zähne knirschten.
Sie verstummten, weil sich das schwarze Untier ihrem Versteck näherte. Es riss an seinem Strick und kreischte, als hätten die Pforten der Hölle sich geöffnet. Doch der Dürre ließ den Teufel nicht von der Leine.
»Wir haben nur eine einzige Möglichkeit zu entkommen«, flüsterte die Schwarze Liss. »Wir müssen durch die Pforte.«
Hannah sah zur Stadtmauer hinüber. »Der Schlüssel. Er ist weg.« Ohne dass sie dagegen ankam, schwappte eine Welle kalter Angst über sie hinweg. Ob sie durch eines der Tore wieder in die Stadt kämen, war mehr als zweifelhaft, zumindest erheblich schwieriger. Ihre einzige Möglichkeit, sich zu retten, war dahin.
»Während du geschlafen hast, habe ich gearbeitet. Du ahnst ja nicht, wer dort oben auf der Mauer sitzt. Aber das erzähle ich dir später. Ich habe ihm den Schlüssel gezeigt und er hat mich verstanden und die Pforte aufgesperrt. Die Tür ist ...«
Mit einem Kreischen, das mehr einem Jubeln glich, warf sich das haarige Untier in die Leine, und die riss mit einem leisen Schnalzen. Verblüfft starrte das Wesen zuerst auf die Leine, dann auf seinen Peiniger. Kurz darauf galoppierte es auf allen vieren davon, sprang an der Mauer entlang und bis zum nächsten
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